Einen Tag vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs hat die EU-Kommission Polen und Ungarn wegen Verstößen gegen demokratische Werte scharf gerügt.

In ihrem ersten Bericht über die Rechtstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten kritisierte die Brüsseler Behörde am Mittwoch in beiden Ländern vor allen eine Aushöhlung der Unabhängigkeit der Justiz. Der Zeitpunkt der Kritik ist brisant, weil in der EU erwogen wird, künftige Finanzhilfen einschließlich jener zur Überwindung der Corona-Krise von der Einhaltung rechtstaatlicher Prinzipien abhängig zu machen. Die Regierungen in Warschau und Budapest haben sich bereits strikt gegen eine solche Verknüpfung ausgesprochen und mit einem Veto gegen die Finanzpläne gedroht.

In Kreisen der amtierenden deutschen Ratspräsidentschaft hieß es am Mittwoch in Berlin, man strebe eine Einigung über die Details der Finanzplanung in den nächsten Wochen an. Dazu gehört auch ein 750 Milliarden umfassender Wiederaufbaufonds zur Überwindung der Corona-Krise. Auf die Grundzüge der Finanzplanung hatten sich die Staats- und Regierungschefs bei einem Marathon-Gipfel im Juli verständigt. Ein deutscher Regierungsvertreter sagte, der Aspekt der Rechtstaatlichkeit sei auf dem jetzt anstehenden Gipfel am Donnerstag und Freitag nicht auf der Tagesordnung. Er rechne aber damit, dass das Thema am Rande des Treffens eine Rolle spielen werde.

Der jetzt veröffentlichte Bericht der EU-Kommission stellt fest: "Polens Justizreformen seit 2015 sind Quell großer Kontroversen." Mit Blick auf Ungarn heißt es, "die geänderte Richtung gibt Anlass zu großer Sorge", was die Unabhängigkeit der Justiz anbelangt. In dem Bericht wird zudem festgestellt, dass demokratische Werte in einigen EU-Staaten gerade in der Corona-Krise vor eine große Belastungsprobe gestellt würden. Dies gelte auch für die Presse- und Meinungsfreiheit. Kritisiert werden auch Bulgarien, Rumänien, Kroatien und die Slowakei wegen deren Umgang mit der Justiz.

In Ungarn und Polen ist nicht nur die Justiz, sondern sind auch Medien, Nicht-Regierungsorganisationen und die Wissenschaft in jüngster Zeit unter schärferer Kontrolle staatlicher Behörden geraten. Die für Rechtstaatlichkeit zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova sagte: "Die Europäische Union wurde auch gegründet als Gegenmittel zu ... autoritären Tendenzen". Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat bereits die Entlassung Jourovas gefordert, nachdem die tschechische Politikerin ihm vorgeworfen hatte, die Demokratie in Ungarn auszuhöhlen. Die EU-Kommission wies Orbans Forderung zurück.

"SEHR SCHWIERIGE VERHANDLUNGEN"

Deutschland unterstützt als Ratspräsidentschaft eine Verknüpfung der Auszahlung von Finanzhilfen mit der Einhaltung rechtstaatlicher Prinzipien. Bundeskanzlerin Angela Merkel räumte am Mittwoch im Bundestag ein: "Da stehen uns noch sehr schwierige Verhandlungen bevor." In Brüssel hieß es, eine Mehrheit der EU-Staaten unterstützte einen deutschen Vorschlag, wie konkret man die Verknüpfung herstellen könne. Danach soll eine Mehrheit der Mitgliedstaaten auf Vorschlag der EU-Kommission feststellen, dass ein Land gegen demokratische Normen verstoßen hat und ihm die Finanzmittel damit versagt bleiben.

Polen und Ungarn lehnen die Vorlage ab und drohen damit, die gesamte Finanzplanung der EU bis 2027 zu blockieren. "Wer auf einem Rechtsstaatsvorbehalt besteht, gefährdet den ganzen Haushaltskompromiss und das Zustandekommen eines historischen Hilfspakets", sagte die ungarische Justizministerin Judit Varga der "Zeit". Schweden, Finnland, Dänemark, Belgien und die Niederlande sowie eine Mehrheit im Europäischen Parlament fordern dagegen sogar ein härteres Vorgehen. Sie treten dafür ein, dass der Entzug von Finanzmitteln nur verhindert werden kann, wenn eine Mehrheit der EU-Staaten dagegen stimmt. "Es wird sehr, sehr schwierig und es werden sehr harte Verhandlungen", sagte der zuständige Berichterstatter des Parlaments, der Finne Petri Sarvamaa von der konservativen Volkspartei EVP.