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GENF (dpa-AFX) - Der russische Präsident Wladimir Putin ist für sein Zuspätkommen berüchtigt. Die amerikanische Seite möchte deshalb, dass er beim Gipfel am Mittwoch in der Villa La Grange am Genfersee zuerst eintrifft, um US-Präsident Joe Biden nicht warten zu lassen. Es ist eine ausgetüftelte Gipfel-Choreografie, die darauf abzielt, dass nicht schon vor dem Treffen eine Seite die andere düpiert. Um 13.04 Uhr kommt Putin bei strahlend blauem Himmel tatsächlich pünktlich an, Biden 15 Minuten später. Der Schweizer Präsident Guy Parmelin nimmt beide in Empfang. Um 13.25 Uhr dann der historische Moment, auf den die Welt gewartet hat: Biden und Putin geben sich mehrere Sekunden die Hand - und sie lächeln dabei sogar.

Weniger gut choreographiert erscheint der Fototermin zum Auftakt des Treffens in der Bibliothek der Villa aus dem 18. Jahrhundert. Biden lacht zwischendurch in die Kameras und hat die Beine übereinandergeschlagen. Putin sitzt wie gewohnt breitbeinig zu seiner Linken und schaut eher griesgrämig. Ungeduldig tappt der Kremlchef mit den Fingern auf die Stuhllehne, während er wartet, dass die Fotografen ihre Bilder machen. Bevor sich die Türen schließen, ist zu sehen, wie Putin sich lachend im Sessel zurücklehnt. Russische Staatsmedien deuten das als einen Präsidenten in bester Stimmung.

"VIELE FRAGEN ANGESTAUT"

Auf vier bis fünf Stunden sind die Gespräche angesetzt, bei denen Biden und Putin versuchen wollen, eine weitere Eskalation in den Konflikten zwischen ihren Ländern abzuwenden. Der Kremlchef sagt zu Beginn, in den bilateralen Beziehungen hätten sich "viele Fragen angestaut". Putin dürfte es schon als Gewinn verbuchen, dass ihn Biden überhaupt zum Gipfeltreffen eingeladen hat - in Washington wurde das als "Belohnung" Putins kritisiert. Biden betont beim Gipfel aber wieder sein altes Mantra: "Ich denke, es ist immer besser, sich von Angesicht zu Angesicht zu treffen."

DER KONTRAST

Die Anführer der beiden größten Atommächte eint ihre gigantische Machtfülle. Im Auftreten könnten sie aber kaum unterschiedlicher sein. Biden erinnert mit seinem Habitus gelegentlich an den sprichwörtlichen netten Großvater. Putin inszeniert sich als knallharter Macho, gerne auch mit freiem Oberkörper.

Biden ist vor nicht einmal 150 Tagen vereidigt worden, Putin ist seit mehr als 21 Jahren an der Macht. Der Neue im Weißen Haus ist der fünfte US-Präsident, mit dem Putin zusammenkommt - der erste war im November 1999 Bill Clinton. Dessen Nachfolger George W. Bush entwickelte ein überraschend warmes Verhältnis zu Putin. Bush sagte 2001 nach einem Treffen: "Ich habe dem Mann in die Augen gesehen. Ich fand ihn sehr geradlinig und vertrauenswürdig, und wir hatten ein sehr gutes Gespräch. Ich konnte einen Eindruck von seiner Seele bekommen."

"REGIONALMACHT" RUSSLAND?

Sehr viel kühler wurde das Verhältnis unter Bush-Nachfolger Barack Obama. Dass der Präsident der letzten verbliebenen Supermacht das stolze Russland 2014 als "Regionalmacht" abkanzelte, hat Putin nie vergessen. Nach Obama kamen dann die wilden Jahre mit Donald Trump. "Ich mag Putin, er mag mich", sagte Trump im vergangenen Jahr. Der Kremlchef würdigte Trump als schillernde Persönlichkeit.

Denkwürdig ist bis heute die gemeinsame Pressekonferenz in Helsinki vor knapp drei Jahren, bei der Trump Erkenntnisse seiner eigenen Geheimdienste zu russischer Einmischung in US-Wahlen in Frage stellte. Für Putin hätte dieser Auftritt nicht besser laufen können. Wohl auch deshalb verzichtet die US-Seite dieses Mal lieber auf eine gemeinsame Pressebegegnung. Russlands Staatsmedien feierten das schon vorab als ersten Punktsieg für Putin.

BIDENS FRÜHES MISSTRAUEN GEGENÜBER PUTIN

Um die Einmischung in US-Wahlen und viele andere Streitthemen sollte es nun auch bei Bidens Gipfel mit Putin gehen. Biden ist seit seinem Einzug in den US-Senat 1973 Berufspolitiker, damals hatte Putin noch nicht einmal seine Laufbahn als KGB-Offizier begonnen. Schon in den frühen Jahren von Putins Präsidentschaft zeigte sich Biden skeptisch. Als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Senat sagte er nach Bushs warmen Worten über den Russen: "Ich traue Putin nicht."

Biden sprach Putin nach eigenen Angaben bei einem Treffen vor mehreren Jahren ab, überhaupt eine Seele zu haben. In einem Interview vor drei Monaten stimmte er außerdem der Aussage zu, der Kremlchef sei ein "Killer". Die US-Nachrichtenseite Politico schrieb kürzlich: "Biden mochte Putin schon nicht, bevor das cool war."

DIE PRÄSIDENTEN UND DAS PRIVATE

Dass sich Gegensätze anziehen, scheint in diesem Fall also nicht zu gelten. Deutlich tritt der Kontrast auch beim Thema Familie zutage. Putin ist seit der Trennung von seiner Frau Ludmila 2013 offiziell Single. Über Familie und andere private Belange spricht der Ex-Geheimdienstchef kaum, er lässt allenfalls mitteilen, dass sich niemand Sorgen machen solle um sein Wohl. Biden hingegen erzählt immer wieder offen von seiner auch von schweren Schicksalsschlägen geprägten Familiengeschichte. Bei Auftritten mit First Lady Jill Biden gibt er den Charmeur.

Der Sender CNN berichtete kürzlich, Biden habe eine strikte Telefonregel: Wenn die Enkel anrufen, geht er immer ran. Über Biden ist sogar bekannt, welches seine liebste Eiscreme-Sorte ist (Chocolate Chip). Auch Putin gilt als Eisliebhaber - das russische Speiseeis ist so beliebt, dass sich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping regelmäßig von dem Russen beschenken lässt.

DER "SCHLÄFRIGE JOE" UND "PUTINS WELPE"

Russlands Staatsmedien zeigen Biden am liebsten mit Versprechern oder beim Stolpern, und sie übernehmen Trumps Charakterisierung seines Widersachers als "schläfrigen Joe". Der Kremlpropagandist Dmitri Kisseljow meint, Biden versuche, auf unbeholfene Weise energisch aufzutreten, errege aber eher Mitleid. Da wolle ihm jeder einfach nur Gesundheit wünschen. "Der russische Präsident verhält sich dagegen maximal ehrlich, redet klar und deutlich. Ein Kontrast!"

Kisseljow könnte Biden da allerdings unterschätzen - wie es Trump im Wahlkampf tat. Der Republikaner hat seine Niederlage gegen Biden bis heute nicht verkraftet. Kurz vor dem Gipfel in Genf meldet sich Trump per E-Mail an Unterstützer zu Wort, er spottet: "Viel Glück für Biden im Umgang mit Präsident Putin - schlafen Sie während des Treffens nicht ein, und bitte richten Sie ihm meine herzlichsten Grüße aus!" Kaum zu erwarten, dass Biden in Genf dem Folge geleistet hat. Er hatte schon vor der Wahl einen härteren Kurs gegenüber Putin angekündigt - und Trump als "Putins Welpen" bezeichnet./cy/mau/DP/eas