- von Alexander Hübner

München (Reuters) - Siemens kommt mit neuem Schwung aus der Corona-Krise und schraubt die Erwartungen zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten kräftig nach oben.

China als größter Wachstumsmarkt für den Münchner Technologiekonzern hat die Pandemie längst hinter sich gelassen. Doch nun könnten Sorgen um den Nachschub an Chips und steigende Rohstoffpreise die Euphorie bremsen. "Daher können sich in den kommenden Monaten in einzelnen Fällen Einschränkungen in der Produktion und verlängerte Lieferzeiten ergeben", warnte der neue Vorstandschef Roland Busch am Freitag. Der Nettogewinn soll im laufenden Geschäftsjahr 2020/21 (per Ende September) trotzdem um bis zu 48 Prozent auf 5,7 bis 6,2 Milliarden Euro steigen.

Bisher hatte Busch dem Konzern 5,0 bis 5,5 Milliarden Euro zugetraut. Nach sechs Monaten stehen bereits 3,9 Milliarden zu Buche - mehr als doppelt so viel wie vor einem Jahr. Der Verkauf des Anlagenbauers Flender trug dazu allein 900 Millionen bei.

Die überraschend schnelle Erholung der Weltkonjunktur hat die Hersteller von Chips und anderen elektronischen Bauteilen auf dem falschen Fuß erwischt und die Rohstoffpreise nach oben getrieben. Dazu kommen Engpässe im Schiffsverkehr. Das trifft auch Siemens. "Derzeit sehen wir unter anderem eine angespannte Situation bei Stahl, Kunststoffen und Frachtkapazitäten", sagte Busch. Gegen steigende Preise für Kupfer, Aluminium und Stahl habe man sich abgesichert, so dass sich die Folgen bisher in engen Grenzen hielten und in den Prognosen einkalkuliert seien, sagte Finanzvorstand Ralf Thomas. Das lasse sich zwar nicht auf lange Zeit durchhalten, "wir erwarten da aber keinen Erdrutsch". Zum Teil könne man die Preise auch an die Kunden weitergeben.

Denn das Geschäft von Siemens brummt - vor allem in der Industrieautomatisierung (Digital Industries). Die Pandemie beschleunige Automatisierung und Digitalisierung, sagte Busch. Staatliche Hilfen zum Wiederaufbau der Wirtschaft zielten auf eine energieeffiziente Modernisierung der Infrastruktur ab, was Siemens in der Gebäudetechnik-Sparte (Smart Infrastructure) in die Hände spiele - aber wohl noch nicht in diesem Jahr.

Zwischen Januar bis März stieg der Umsatz auf vergleichbarer Basis um neun Prozent auf 14,7 Milliarden Euro, die Orders zogen um elf Prozent auf 15,9 Milliarden an. Das war jeweils deutlich mehr als Analysten erwartet hatten. "Unsere Kunden bringen uns großes Vertrauen entgegen. Das zeigen Auftragslage und Umsatz im zweiten Quartal eindrucksvoll", sagte Busch. Auch im dritten Quartal seien in den beiden Kernsparten zweistellige Zuwächse zu erwarten, erklärte der Finanzchef.

SIEMENS LÄSST IM APRIL NICHT ABREISSEN

Siemens habe vor allem vom schnellen Aufschwung in der Auto- Industrie und dem Maschinenbau profitiert, sagte Finanzvorstand Thomas. Das zeigte sich vor allem bei Digital Industries (DI), wo der Umsatz im zweiten Quartal um 14 Prozent stieg. "Im April haben wir unser Wachstumstempo gehalten, in China ebenso wie im Rest der Welt", fügte er hinzu. Außerhalb Chinas hatte die Corona-Pandemie die Wirtschaft 2020 erst ab März hart getroffen.

Auch für das Gesamtjahr legte Siemens die Latte höher: Der vergleichbare Umsatz soll um neun bis elf Prozent anziehen; bisher hatte Siemens maximal neun Prozent erwartet. Nach sechs Monaten stehen acht Prozent mehr zu Buche als vor Jahresfrist. Der Auftragseingang soll stärker zulegen als der Umsatz.

Die Siemens-Aktie zog um drei Prozent an und näherte sich ihrem Höchststand von knapp 146 Euro von Mitte April. Dabei seien die Erwartungen hoch gewesen, zumal Konkurrenten wie ABB schon gute Zahlen vorgelegt hatten, kommentierte JPMorgan-Analyst Andreas Willi. "Aber der Auftragseingang bleibt stark, und Siemens wächst weiterhin stärker als die Konkurrenz." Vor allem in den USA habe Siemens ABB und Schneider offenbar massiv Marktanteile abgenommen, schreiben die Analysten von Jefferies. Das operative Ergebnis aus dem Industriegeschäft (Ebita), an dem der Finanzmarkt Siemens misst, verbesserte sich im zweiten Quartal um fast ein Drittel auf 2,09 Milliarden Euro. Analysten hatten Siemens im Schnitt 2,02 Milliarden zugetraut.

An den Prognosen dürfte sich bis September aber noch einiges ändern. Denn die Übernahme des Krebstherapie-Spezialisten Varian durch die Medizintechnik-Tochter Siemens Healthineers - mit 15 Milliarden Euro die teuerste der Firmengeschichte - ist darin noch nicht enthalten. Das US-Unternehmen gehört seit Mitte April zum Konzern und soll in den restlichen fünf Monaten noch einen Milliardenumsatz beisteuern. Nach vorläufigen Schätzungen dürften die Kosten der Übernahme und Firmenwert-Abschreibungen den Nettogewinn von Siemens aber um 300 bis 500 Millionen Euro schmälern.