FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Die erste Zinserhöhung in der Eurozone nach elf Jahren setzte Bundesanleihen kurzzeitig unter Druck. Vor dem Wochenende erholt sich der Markt. Viel hängt jedoch von der Fortentwicklung der Energiekrise ab. Die EZB dürfte darauf Rücksicht nehmen.

22. Juli 2022 Frankfurt (Börse Frankfurt). Mit ihrer Entscheidung, die Zinsen in der Eurozone um 50 Basispunkte zu erhöhen, hat die Europäische Zentralbank unmittelbar erhebliche Kursverluste europäischer Staatsanleihen ausgelöst. Der Bund-Future war zeitweise unter die Marke von 150 Punkten gefallen und hatte mit bis zu 1,37 Prozent rentiert. Die Renditen waren allerdings wieder gesunken, nachdem das neue Anti-Krisen-Programm der Währungshüter gegen eine Fragmentierung des Währungsraumes angekündigt worden war.Am Freitag steht das Barometer für die Zinserwartungen - deutlich erholt - bei 152,96 Punkten.

Einige Unsicherheitsfaktoren vom Tisch

"Die Europäische Zentralbank hat geliefert und sich dem internationalen Zinserhöhungszyklus angeschlossen", kommentieren Ralf Umlauf und Ulrich Wortberg von der Helaba. Der Zinsschritt sei zwar größer ausgefallen als mehrheitlich erwartet, zum Schluss hätten die Spekulationen auf einen solchen Schritt aber zugenommen.

Einige Unsicherheitsfaktoren seien nun vom Tisch, zumal schon im September mit einem weiteren Zinsschritt von 50 Basispunkten zu rechnen sei. Zugleich fließt wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 - wenn auch nicht so viel wie erhofft. . Die Risikobereitschaft dürfte sich weiter in Grenzen halten, zumal es in Italien nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Mario Draghi Neuwahlen geben werde.

Robert Halver von der Baader Bank rechnet hingegen bei den künftigen Zinsentscheidungen mit kleineren Schritten: "Aufgrund der sich verschlechternden Wirtschaftsaussichten werden Anhebungen um 0,5 Prozent nicht der neue Normalzustand bei der EZB werden. Die drohende Energiekrise mit großem Wohlstandsverlustpotenzial, die Regierungskrise in Italien sowie die unsichere Null-Covid-Strategie in China will die EZB mit markanten Zinssteigerungen nicht noch verstärken." Insofern sei im September eine Drosselung des Zinserhöhungstempos auf 0,25 Prozentpunkte zu erwarten.

Nach Einschätzung von Martin Hartmann, Commerzbank kommt es auch darauf an, wie sich die Energiekrise entwickelt. "Kommt es tatsächlich zu einem Gasengpass, dürfte die EZB darauf Rücksicht nehmen und den Zinserhöhungsprozess möglicherweise sogar beenden." Derzeit plane sie für die kommenden Sitzungen eine weitere Normalisierung der Zinssätze, wobei die jeweiligen Entscheidungen jedoch allein von der Datenentwicklung abhängen. "Wir gehen unverändert davon aus, dass die EZB den Einlagensatz auf jeder der nächsten sechs Sitzungen um 25 Basispunkte anheben wird, womit er im nächsten Frühjahr 1,5 Prozent erreichen würde."

Hilfsprogramm stößt auf Kritik

Auf ein geteiltes Echo stößt indessen das neue Anti-Krisenprogramm der Währungshüter gegen eine Fragmentierung des Währungsraumes. Das Hilfsprogramm "Transmission Protection Instrument" (TPI) ermöglicht der EZB Käufe von Staatsanleihen, obwohl die bisherigen Nettoanleihenkäufe eigentlich ausgelaufen sind. Die Notenbank kann mit dem TPI italienische Staatsanleihen kaufen, wenn deren Renditeabstand deutlich größer zu Bundesanleihen ist als im Schnitt der vergangenen Jahre. Damit sollen zu hohe Risikoaufschläge für Anleihen hochverschuldeter Staaten verhindert werden. Doch es ist umstritten.

"Das von der EZB in Aussicht gestellte Anti-Fragmentierungsinstrument hat Marktteilnehmer noch nicht überzeugen können und so ist es zu einer fortgesetzten Ausweitung der Peripherie-Spreads (das sind die Renditeunterschiede zwischen Anleihen hochverschuldeter EU-Staaten und Bundesanleihen - Anm. der Red.) gekommen", fassen Umlauf und Wortberg zusammen. Italienische Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit hatten gegenüber Bundesanleihen zeitweise 245 Basispunkte höher rentiert. Dazu würden auch die Ende September anstehenden Neuwahlen in Italien beitragen.

"Insgesamt schienen die Märkte die Komplexität des TPI-Programms nicht zu mögen, aber womöglich war das Hauptproblem, dass es am Tag des Rücktritts von Italiens Ministerpräsident Mario Draghi offiziell verkündet wurde", kommentiert Jim Reid von der Deutschen Bank.

Hans-Joachim Lübbing von der Commerzbank erklärt: "Die EZB-Erläuterungen zum Anti-Fragmentierungsinstrument fand der Markt wenig überzeugend und zu wenig detailliert."

Händler: Risikoneigung am Anleihenmarkt weiterhin niedrig

Anleihehändler berichten, dass an den Anleihenmärkten kaum Risiken weiter vermieden würden.. "Gedämpft wird die Stimmung in der Eurozone zum einen durch die Frage, ob die wiederaufgenommenen Erdgaslieferungen durch Russland dauerhaft erfolgen", fasst Tim Oechsner von der Steubing AG zusammen Zum anderen belaste die ungewisse politische Zukunft Italiens, wo Ende September vorgezogene Neuwahlen stattfinden sollen. "Wir sehen einen Mix aus Unsicherheitsfaktoren." Hohe Nachfrage gebe es allerdings nach italienischen Staatsanleihen (), () trotz der hohen Volatilität der Papiere in dieser Woche, aber auch nach langlaufenden US-Schuldtiteln ().

Sommerloch am Anleihenmarkt

Zugleich nimmt nach Oechsners Einschätzung die Liquidität im Sommer weiter ab. "Die Bücher vieler Banken sind dünn und andere Marktteilnehmer nicht mehr da. Das bedeutet, es gibt weniger Kontrahenten am internationalen Interbankenmarkt und die Spannen zwischen Kauf- und Verkaufskursen sind entsprechend breiter", erklärt Oechsner. Auch der Markt für Neuemissionen speziell in Europa könne sich dieser Entwicklung nicht entziehen, es gäbe kaum Neuemissionen.

Beate Mägerle von der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank bestätigt ebenfalls das Sommerloch am Anleihenmarkt. In ihren Orderbüchern zeigt sich derzeit jedoch verstärktes Interesse vor allem an Anleihen großer Unternehmen: So werden Papiere der Deutschen Telekom () mit Laufzeit bis 2025 und 1,375 Prozent Kupon gut nachgefragt, wie auch von den Automobilherstellern Volkswagen () und Mercedes (). "Beide verzeichnen seit Monatsbeginn deutliche Kurssteigerungen."

Darüber hinaus berichtet die Händlerin, dass - wie schon in den vergangenen Wochen - Anleihen von thyssenkrupp, die bis 2024 laufen und einen Kupon von 2,875 Prozent haben, gesucht sind. Auch bei der PNE AG wird zugegriffen. Eine Anleihe mit 5 Prozent Kupon, die bis 2027 läuft, wird gekauft.

Nach der Ankündigung einer Hauptversammlung stiegen die Kurse der Anleihen der Adler Group () , (), (), berichtet Oechsner vom Markt

von: Antje Erhard, 22. Juli 2022, © Deutsche Börse AG

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