FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Immer wieder wird die Aufholjagd der kleinen Werte ausgerufen ­- doch bislang bliebt sie aus. Nur einige wenige Scale-Aktien stemmen sich gegen den Trend und legen zu. Die drei Fragen gehen diesmal an Philip Schetter von Cantourage.

21. Juni 2023. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Die kleinen Werte laufen den großen weiter hinterher. Während der DAX vergangene Woche ein neues Allzeithoch markiert hat, kommen MDAX, SDAX und auch das Scale-Segment kaum vom Fleck. Der Scale All Share liegt am Mittwochmorgen bei 1.232 Punkten, das entspricht in etwa dem Niveau zu Jahresanfang. Das Allzeithoch aus dem Jahr 2021 von 1.969 Punkten ist in weiter Ferne.

Die Gründe: Ukraine-Krieg und Bankenturbulenzen lassen Anleger*innen zu weniger riskant wirkenden Aktien greifen. Zudem belasten die höheren Zinsen kleinere, häufig höher verschuldete Unternehmen stärker als die Großen. Und nicht zuletzt haben es Large Caps in Zeiten der Inflation leichter, denn ihre Preissetzungsmacht ist größer. Immer wieder wird eine Aufholjagd an der Börse prognostiziert. "Die relativen Bewertungen, gemessen an den Kurs-Gewinn- und Kurs-Buchwert-Verhältnissen, sind die attraktivsten seit mindestens 15 Jahren", schreibt etwa Matthew Gilman vom Global Wealth Management der UBS mit Blick auf die europäischen Small und Midcaps. "Und das in einem Segment, von dem man erwartet, dass es langfristig überdurchschnittliche Renditen erzielt."

Zuletzt hat sogar der Geothermiespezialist Daldrup & Söhne (DE0007830572), lange Star des Segments, einiges an Wert verloren. Auf Sicht von einem Jahr bleibt das Unternehmen allerdings noch Performance-Spitzenreiter. Denn der Kurs hat sich seit Juni 2022 immer noch mehr als verdoppelt auf aktuell 11 Euro. Ebenfalls gut entwickelt auf Zwölfmonatssicht haben sich 2G Energy (DE000A0HL8N9), Mensch und Maschine (DE0006580806), Nynomic (DE000A0MSN11) und die JDC Group (DE000A0B9N37). Allerdings kommen diese seit Juni 2022 nur auf Kursgewinne von 4 bis 9 Prozent.

Daldrup und 2G: Auftrumpfen mit Erneuerbaren Energien

Daldrup gilt als Profiteur der Energiewende. Denn das Unternehmen aus dem nordrhein-westfälischen Ascheberg hat sich auf Bohrungen spezialisiert, unter anderem für Erdwärmeanlagen. Nach guten Zahlen für 2022 hat Daldrup zuletzt die Prognosen für 2023 bestätigt. Den Analysten von SMC-Research zufolge ist die Aktie noch etwas zu billig, sie raten nach dem Kursrückgang jetzt wieder zum Einstieg ("Buy" statt "Hold") und nennen ein Kursziel von 11,80 Euro. Die weiteren Aussichten von Daldrup seien sehr vielversprechend: Das Interesse an Geothermie steige deutlich, und gerade hierzulande werde die Wärmewende ohne einen deutlich steigenden Beitrag der Erdwärme kaum zu bewerkstelligen sein.

Ebenfalls als Gewinner der Energiewende gilt 2G Energy. Das Unternehmen aus dem nordrhein-westfälischen Heek hat sich auf die Herstellung von Energieerzeugungssystemen mittels Kraft-Wärme-Kopplung in mit Erdgas oder Biogas betriebenen Blockheizkraftwerken spezialisiert. In den vergangenen Wochen hat die Aktie, die 2022 zwischenzeitlich verloren hatte, einen Sprung nach oben gemacht, Hintergrund waren gute Zahlen zum ersten Quartal. Der Kurs mit aktuell 28,85 Euro nähert sich nun dem Allzeithoch von 32,20 Euro.

First Berlin traut der 2G-Aktie 33 Euro zu, rät wegen des Kursanstiegs jetzt allerdings nur noch zum "Hinzufügen" der Aktie, nicht mehr zum "Kaufen", was einem Kurspotenzial von mehr als 25 Prozent entsprochen hätte. Die positive Entwicklung im ersten Quartal werde sich auch in den Folgenquartalen fortsetzen, heißt es. Auch SMC-Research hält viel von 2G und empfiehlt den Kauf. Das Unternehmen sei sehr dynamisch in das Geschäftsjahr 2023 gestartet, mittelfristig werde es zudem zusätzliche Wachstumsimpulse aus neuen Produkten geben. Die Analysten halten die Aktie bei 31,70 Euro für fair bewertet.

EQS: Kurssprung nach Hinweisgeberschutzgesetz

Stark gestiegen ist in den vergangenen Wochen auch der Kurs des Tech-Unternehmens EQS Group (DE0005494165). Der Grund: EQS bietet unter anderem "die führende Cloud-Lösung zur Erfüllung des Hinweisgeberschutzgesetzes für Unternehmen und Behörden" an, wie es selbst formuliert. Nach einigen Verzögerungen bei der Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in nationales Recht hatte der Bundesrat am 12. Mai seine Zustimmung zum Gesetzt gegeben. Die Aktie kostet mittlerweile knapp 29 Euro, vor dem Votum waren es nur 20,50 Euro.

Für die Analysten von GBC war die Verabschiedung des Gesetzes ein wesentlicher Meilenstein für das Unternehmen. Sie raten immer noch zum Einstieg und nennen ein Kursziel von 38 Euro. Auch GSC Research ist positiv gestimmt: EQS habe nun massives Wachstumspotenzial, auch auf mittlere Sicht. Denn nach der ersten Stufe der Regulierung, die für Unternehmen ab 250 Beschäftigten gelte, trete bereits Ende 2023 die zweite Stufe in Kraft, die dann Firmen mit 50 bis 249 Beschäftigten erfasse. Das Kursziel liegt hier bei 32,50 Euro.

Helma im Krisenmodus

Nochmals kräftig nach unten ging es im Juni hingegen für den Massivhaus-Anbieter Helma Eigenheimbau (DE000A0EQ578). Die Aktie kostet jetzt nur noch 4,80 Euro, Anfang 2022 waren es rund 70 Euro. Im März war das Unternehmen noch von einem positiven Ergebnis in diesem Jahr ausgegangen - trotz Pleite eines Subunternehmers und stark sinkender Auftragseingänge im Zuge der Immobilienflaute. Vergangene Woche wurde die Umsatzerwartung für 2023 dann kräftig zusammengestrichen und ein Verlust in Aussicht gestellt.

Formycon beherrscht Scale-Handel

Der Handel mit Scale-Aktien im Mai zeigt einmal mehr die Dominanz von Formycon, dem Anbieter biopharmazeutischer Arzneimittel: Im abgelaufenen Monat wurden auf Xetra und dem Frankfurter Parkett Aktien des Unternehmens im Wert von 43 Millionen Euro gehandelt. Auf den Plätzen zwei bis fünf folgen - weit abgeschlagen - 2G mit 11,8 Millionen Euro, Cliq mit 8,5 Millionen Euro, sowie Data Group und Apontis Pharma mit rund 3,8 Millionen. Seit Jahresanfang ist der Abstand von Formycon (126 Millionen Euro) zu den nachplatzierten 2G (46 Millionen Euro) und Cliq (44,2 Millionen Euro) nicht ganz so groß.

Drei Fragen an: Philip Schetter, CEO von Cantourage

Die Ausgestaltung der Legalisierung von Cannabis hierzulande hat viele in der Branche enttäuscht. Wie stehen Sie dazu?

Tatsächlich sehen wir die öffentliche und politische Debatte um Cannabis für den Freizeitgebrauch als große Chance, denn so rückt auch der Diskurs um Medizinalcannabis in den Fokus. Als Hersteller für medizinisches Cannabis merken wir diesen Effekt bereits. Wir konzentrieren uns daher weiterhin auf unsere Mission, medizinisches Cannabis als attraktive Alternative zu etablierten Therapiemöglichkeiten zu positionieren durch Innovation, höchste Qualitätsstandards und Preise unter dem Schwarzmarkt.

Sie haben im ersten Quartal dieses Jahres erstmals einen Gewinn erwirtschaftet. Wo sieht sich Cantourage mittel- und langfristig?

Wir streben ein profitables Wachstum an, unter anderem, indem wir in Europa expandieren und weitere Anbauer auf unsere Fast-Track-Access-Plattform begrüßen. Der Markt ist sehr dynamisch und wächst stark. Unser Business-Modell haben wir so aufgestellt, dass wir auf diese Dynamik reagieren können. Wir glauben, dass langfristig eine Ebitda-Profitabilität im zweistelligen Prozentbereich realistisch ist.

An der Börse lief es nach dem fulminanten Start nicht so gut. Was spricht für Ihre Aktie?

Wir sind mit dem Verlauf zufrieden. Die anfänglichen Kurssprünge sind für den Gesamtverlauf nicht repräsentativ. Die aktuelle Marktkapitalisierung spiegelt ein hohes Vertrauen der Investoren in unser Modell. Die Cantourage hat durch ihre Plattform ein Alleinstellungsmerkmal im Markt für medizinisches Cannabis, dazu kommt das sehr erfahrene Cannabis-Management-Team. Die Aktie bietet daher eine gute Chance, nachhaltig in den Cannabis-Markt zu investieren - ohne unbedingt auf eine weitere Legalisierung des Marktes angewiesen zu sein.

Cantourage ist ein führendes europäisches Unternehmen für medizinisches Cannabis, gegründet 2019 von Norman Ruchholtz, Florian Holzapfel und Patrick Hoffmann. Das Berliner Unternehmen bietet eigenen Aussagen zufolge Produkte in allen relevanten Marktsegmenten an, von getrockneten Blüten über Extrakte und Dronabinol bis hin zu Cannabidiol, in pharmazeutischer Qualität. Cantourage ist seit November 2022 an der Frankfurter Wertpapierbörse gelistet, unter dem Börsenkürzel "HIGH".

von: Anna-Maria Borse © 21. Juni 2023, Deutsche Börse AG

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)