FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - ETFs haben Fondsmanagern das Fürchten gelehrt. Aber weil auch ETF-Anbieter dem Outperformance-Mythos nachhängen, versuchen aus sie, mit Faktor-ETFs Mr. Market ein Schnippchen zu schlagen. Der Momentum-Faktor gilt dabei als langfristig erfolgreich. Am Beispiel von Momentum-ETFs lässt sich gut beobachten, dass auch ETFs mitunter zu aktiv sein können, wie Ali Masarwah, Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor, zeigt.

26. Februar 2024. FRANKFURT (envestor). Die Asset Management-Industrie ist vom Storytelling getrieben. Das muss per se nicht schlimm sein, denn das Börsengeschehen ist für viele Menschen ziemlich dröge, weshalb spannende Geschichten den Weg zum Investmentglück ebnen können.

Der wohl häufigste Mythos ist bei aktiv verwalteten Fonds die Verheißung fabulöser Renditen. Fondsmanager seien durch das geschickte Ausspielen ihres Informationsvorsprungs in der Lage, ihre Vergleichsindizes zu übertreffen. In Einzelfällen und auch in bestimmten Fondskategorien trifft das zu, aber im Großen und Ganzen nicht. Langfristig schafft es bestenfalls rund ein Fünftel aller aktiven Fonds, eine adäquate Benchmark zu übertreffen. Der Grund: zu hohe Kosten und zu viel taktisches Hin und Her.

Und so ist es kein Wunder, dass ETFs in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Siegeszug angetreten haben. Rund 20 Prozent aller Fondsgelder europaweit stecken in Indexfonds. ETFs profitieren von den beiden oben erwähnten Nachteilen. Alle ETFs? Nein, denn ETF-Anbieter tappen - genau wie Fondsmanager - in die Falle der Outperformance-Erzählung. Sie können sich allerdings nicht auf Heldentaten des Management berufen, sondern verweisen auf "evidenzbasierte" Studien.

Die Finanzwissenschaft arbeitet seit Jahrzehnten daran, den Komponenten der Marktrendite auf die Spur zu kommen. Eine bahnbrechende Entwicklung war das Drei-Faktor-Modell von Eugene Fama und Kenneth French. Sie identifizierten 1992 das Prinzip der alternativen Renditequellen. Neben der allgemeinen Marktrendite wurden die sogenannten Value- und Size-Effekte benannt, die systematisch andere (ließ: überlegene) Renditen lieferten als der Markt. Das Modell wurde 1997 von Mark Carhart um den Momentum-Faktor ergänzt.

Momentum-Strategien gelten als besonders erfolgreich. Sie setzen auf die Kursdynamik von Gewinnern der Vergangenheit. Das widerspricht der beliebten Effizienzmarkthypothese, nach der alle Informationen bereits in den Kursen enthalten seien.

So gesehen ist für Effizienzmarktfans der Momentum-Faktor ein Alptraum: Mit der simplen Methode: "setze auf die Gewinner der Vergangenheit" lässt sich Mr. Market übertreffen. Der Indexanbieter MSCI rechnet vor, dass der MSCI World Momentum in den vergangenen 30 Jahren jährlich um 10,9 Prozent pro Jahr zugelegt hat, während dem MSCI World nur ein Plus von 8,1 Prozent p.a. gelang (per Ende Januar 2024, in US-Dollar gerechnet). Offenbar ist die menschliche Neigung, dem Schwarm zu folgen langfristig doch nicht ganz verkehrt.

Alles also auf einen Momentum-ETF setzen und fertig ist die Laube? Die Sache hat - natürlich - einen Haken: Kurzfristig kann es ganz anders aussehen. In den vergangenen drei Jahren ließ der MSCI World sein Momentum-Pendant weiter hinter sich: plus 8,6 Prozent p.a. gegenüber nur 3,8 Prozent beim MSCI World Momentum. Selbst in der Fünfjahres-Bilanz hinkt der Momentum-Index der Benchmark leicht hinterher. Für Langfrist-Investoren mag das kein Problem sein, aber das bedeutet, dass sie sich damit die Argumente aktiven Fondsmanagements zu eigen machen: "kommt wieder!".

Wer neugieriger an die Sache herangeht, wird feststellen, dass der Erfolg und Misserfolg von Momentum-Ansätzen in den vergangenen Jahren vor allem an Tech-Aktien lagen. Deren Performance war seit 2018 ziemlich sprunghaft, und da Momentum-Ansätze träge sind beim "Umsatteln" auf Vergangenheits-Gewinner, passierte das, was Momentum-Strategien ins Straucheln bringt: Seitwärtsmärkte bremsten sie aus. Dann gilt das Motto: Hin und Her macht Tasche leer.

Die untere Grafik sagt mehr als 1.000 Worte: Sie zeigt das Gewicht von Tech-Aktien in einem ETF auf den MSCI World im Vergleich zu deren Gewichtung in einem ETF auf den MSCI World Momentum seit Anfang 2021. Die Corona-Korrektur kam 2021 nur verzögert bei dem Momentum-ETF an. Nach Beginn der Growth-Korrektur im Herbst 2021 riss der ETF erst im Mai 2022 das Ruder herum und senkte die Tech-Quote von über 30 Prozent auf unter 10 Prozent.

Nachdem dann in der zweiten Jahreshälfte 2021 auch die Magnificent 7 in den Sog der Tech-Korrektur gekommen waren, senkte der Momentum-ETF im November die Tech-Quote erneut auf dann nur noch 4 Prozent. Erst im Mai 2023 erhöhte der Momentum-ETF den Tech-Anteil dann auf über 20 Prozent - der Tech-Anteil im MSCI World stieg bereits im Januar 2023 merklich an, da die Erholung bereits im Dezember 2022 angefangen hatte. Erst im November 2023 gab der Momentum-ETF dann wieder Speed und landete bei einer deutlichen Übergewichtung von Tech-Aktien, die er seitdem laufend ausbaut, auf aktuell knapp 33 Prozent gegenüber 24,5 Prozent beim MSCI World.

Der MSCI World Momentum verhielt sich in den vergangenen Jahren wie ein störrischer aktiver Manager, der zunächst auf seinem Standpunkt verharrt, um dann grantelnd und widerwillig nachzugeben und doch auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Verstetigt sich der Trend und bleiben Nvidia und Co. "oben auf", werden Momentum-Strategien 2024 die großen Gewinner sein. Aber auch ein erneuter Trendwechsel wäre denkbar - man vergegenwärtige sich, was wohl mit Growth-Aktien passieren würde, sollten die Notenbanken dieses Jahr die Zinsen doch nicht so stark senken, wie es die Auguren erwarten.

Wer dem Momentum-Ansatz folgt, sollte sich dennoch vergegenwärtigen, dass sich Trendwechsel bei Momentum-Strategien auch mittelfristig auf die Performance auswirken können. Wer sich gegen Mr. Market stellt, kann auch längere Zeit alt aussehen. Selbst ETFs.

Von: Ali Masarwah, 26. Februar 2024, © envestor.de

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.

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