FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 20. Juli 2022. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Es soll Menschen geben, die grundsätzlich eine so negative Erwartungshaltung gegenüber künftigen Ereignissen haben, dass sie eigentlich nur noch positiv überrascht werden können. Ähnliches könnte man auch von den Börsianern am gestrigen Handelstag behaupten, die dafür sorgten, dass der DAX seit unserer vergangenen Erhebung letztlich um rund 4,3 Prozent zulegen konnte. Dabei sei es nun einmal dahingestellt, ob der Auslöser für diese Rallye in der aufkeimenden Hoffnung bestand, dass nun die Gaslieferungen via Nord Stream 1 in Bälde in reduzierter Form wieder aufgenommen werden könnten. Oder dass das US-Unternehmen Netflix nach dem dortigen Börsenschluss mit der positiven Überraschung aufwartete, während des zweiten Quartals deutlich weniger Abonnenten verloren zu haben, als die Analysten prophezeit hatten. Der Referenzpunkt ihrer Erwartungen muss nur niedrig genug angesetzt sein, damit Akteure selbst eine schlechte Zahl als "gut" wahrnehmen.

Apropos negative Erwartungen: Die jüngste Fondsmanagerumfrage der Bank of America (BofA), die gestern publiziert wurde, ergab, dass netto 44 Prozent der befragten Vermögensverwalter nach eigener Auskunft in Aktien untergewichtet sind. Dabei handelt es sich immerhin um die stärkste Untergewichtung seit Oktober 2008, nur wenige Wochen nach dem Lehman-Zusammenbruch. Gleichzeitig ist die Kassenhaltung im Juli auf 6,1 Prozent gestiegen, so dass - neben anderen Kennzahlen - man nicht erstaunt sein muss, wenn in der Erhebung (vom 8. bis 15. Juli!) von einer Kapitulation der Fondsmanager gesprochen wird.

Kapitulation? Wir nicht!

Unterdessen sieht es nicht so aus, als ob die von uns befragten mittelfristig orientierten institutionellen Investoren das Handtuch geworfen hätten. Zwar ist der Optimismus, gemessen an unserem Börse Frankfurt Sentiment-Index, gegenüber der Vorwoche um 5 Punkte auf einen neuen Stand von +3 gesunken. Aber es spricht viel dafür, dass die Bullen, die dem DAX nun den Rücken gekehrt (6 Prozent aller Befragten) und sich fast vollumfänglich an die Seitenlinie begeben haben, ihre Gewinne aus den vor zwei Wochen eröffneten Engagements mitgenommen haben.

Bei den Privatanlegern ergab sich abermals eine entgegengesetzte Entwicklung, denn der Börse Frankfurt Sentiment-Index dieses Panels ist um 10 Punkte auf einen neuen Stand von +1 gestiegen. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass sich vormals bearish eingestellte Akteure vermutlich im Zuge der DAX-Schwäche aus der vergangenen Woche direkt auf die Bullenseite geschlagen haben. Zusammen mit vormals neutral eingestellten Akteuren ergibt sich somit ein Zuwachs bei den Optimisten von 6 Prozentpunkten.

Annäherung von beiden Seiten

Mit der heutigen Befragung ist die Stimmungskluft, die sich während der vergangenen beiden Wochen zwischen privaten und institutionellen Investoren aufgetan hatte, fast verschwunden. Zum einen, weil sich mit dem Abschwung des DAX in die Nähe der Juni-Tiefs für einen Teil der Privatanleger eine günstige Kaufgelegenheit ergeben hat. Und weil institutionelle Investoren in der darauffolgenden Rallye in einer Größenordnung von zeitweise rund 7,8 Prozent zu einem kleinen Teil ihre bullishen Engagements, wahrscheinlich ebenfalls mit Gewinn, auflösen konnten.

Unter dem Strich hat sich die Sentiment-technische Situation für den DAX im Vergleich zur Vorwoche etwas verbessert. Allerdings stellt der jüngste Aufschwung des Börsenbarometers immer noch nicht mehr als eine Korrektur in einem Bärenmarkt dar. Denn die verbliebenen optimistischen institutionellen Investoren warten mehrheitlich immer noch auf viel höhere DAX-Stände, um sich aus Schieflagen befreien zu können. Um indes einen nachhaltigen Aufwärtstrend zu generieren, müssten also internationale Investoren mit ihren Engagements in die Eurozone zurückkehren. Immerhin hatten netto 35 Prozent der Fondsmanager aus vorgenannter BofA-Umfrage geäußert, sie seien ausgerechnet in Aktien des Euroraums untergewichtet.

20. Juli 2022, © Goldberg & Goldberg für boerse-frankfurt.de

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)