FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Kurzfristige Eingriffe der Bank of England und eine erneut hohe deutsche Inflation belasten die Anleihemärkte. Nachfrage besteht nach kurzfristigen Anleihen. Am Ende einer turbulenten Woche beruhigt sich die Lage aber wieder.

30. September 2022. Frankfurt (Börse Frankfurt). Die Interventionen der britischen Notenbank und erneut höher als erwartete Inflationsdaten haben die Renditen deutscher Staatsanleihen wie auch vieler europäischer Pendants in die Höhe getrieben. Die Währungshüter der Bank of England hatten am Mittwoch vor einem "erheblichen Risiko für die Finanzstabilität des Vereinigten Königreiches" gewarnt und den begrenzten, aber massiven Ankauf langlaufender Staatsanleihen angekündigt. Zuvor war das Britische Pfund eingebrochen, während die Renditen der Gilts genannten Staatsanleihen über die Marke von 5 Prozent gestiegen waren. Zum Wochenauftakt waren die Reaktionen am Anleihemarkt auf die Italienwahl noch verhalten ausgefallen

Märkte erwarten langfristig höheres Zinsniveau im Euroraum

Trotz der Inflation in Deutschland, die mit 10 Prozent das Niveau von 1950 erreicht hat, noch höher als vom Markt befürchtet, bleiben die langfristigen marktbasierten Inflationserwartungen nach Einschätzung von Hans-Joachim Lübbing von der Commerzbank von den realen Daten unbeeindruckt: Sie bewegen sich nahe dem EZB-Zielwert von 2 Prozent. "Der Markt rechnet also nach wie vor damit, dass die EZB die galoppierende Inflation unter Kontrolle bekommt und dass dies bereits Ende nächsten Jahres erfolgt."

Die Zinskurve für deutsche Staatsanleihen ist steiler geworden, wobei die kurzfristigen Renditen leicht gesunken und die langfristigen deutlich anstiegen sind. "Die Marktteilnehmer stellen sich nun verstärkt auf ein langfristig höheres Zinsniveau ein, wobei die Erwartung an die kurzfristigen Zinserhöhungen etwas abgenommen hat." Ein Grund hierfür könnten die Anschläge auf die Gaspipelines sein, die weitere Anschläge auf die kritische Infrastruktur der EU in den Bereich der Möglichkeiten rücken. "In diesem Krisenszenario würde die EZB sicherlich auf weitere Zinsschritte vorerst verzichten."

Die zehnjährigen Bund-Renditen sind von 2,3 auf 2,1 Prozent zurückgegangen. Zehnjährige US-Treasuries rentieren mit 3,7 Prozent, nachdem sie im Wochenverlauf über 4 Prozent gestiegen waren.

Die Rentenmärkte haben sich inzwischen nach Einschätzung von Arthur Brunner von der ICF Bank etwas beruhigt. "Die Woche war allerdings turbulent." Der Eingriff der britischen Notenbank sei bedenklich, werde aber am Markt positiv aufgenommen. "Vor dem Wochenende werden positive Nachrichten regelrecht gesucht."

Schon jetzt deutlicher Zinsanstieg im Jahresvergleich

"Das Kaufprogramm der Bank of England stabilisiert die Lage. Die Stimmung bleibt aber geradezu depressiv", beschreibt Tim Oechsner von Steubing den Markt. Der übergeordnete Trend fallender Kurse und steigender Renditen bleibe intakt. Das zeige auch der Vergleich zum Vorjahresende: Die zehnjährigen Bundrenditen sind von -0,18 Prozent Ende 2021 auf über 2 Prozent gestiegen.

Einzelne Unternehmenstitel und kurze Laufzeiten gesucht

Im aktuellen Marktumfeld führen ausgewählte Anleihen nach Einschätzung von Oechsner ein Eigenleben. "Viele Anleihen werden es aber angesichts der Risikoaversion weiter schwer haben." Neuemissionen gäbe es kaum. Der internationale Hafeninfrastrukturbetreiber und Logistikdienstleister R-Logitech begibt einen bis 2027 laufenden Schuldtitel mit 10,25 Prozent Kupon. "Die Stückelung von 100.000 ist jedoch für Privatanleger wenig geeignet", erklärt Oechsner. Der Nettoerlös aus der Platzierung soll zur Rückzahlung einer Anleihe (DE000A19WVN8), die im kommenden Jahr fällige werde und 8,5 Verzinsung aufweist, verwendet werden sowie für allgemeine Unternehmenszwecke.

Bei Brunner sind kurzfristige Anleihen mit Fälligkeiten auf ein oder zwei Jahre gefragt: "Hier sind die Renditen inzwischen attraktiv", begründet Brunner das Kaufverhalten. So werde Grenke (XS1910851242) zu Kursen um 98,10 Prozent gekauft. "Das entspricht einer Rendite von 3,4 Prozent", erklärt Brunner. Bei Gregor Daniel von der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank ist ebenfalls eine Grenke-Anleihe (XS1799162588) auf der Kaufseite im Orderbuch. Sie läuft bis April 2023 und hat ein Prozent Kupon. "Auf dem aktuellen Kursniveau erzielt sie eine Rendite von 5,12 Prozent," berichtet Daniel.

Unter den Mittelstandsanleihen wurde eine Semper idem Underberg-Anleihe mit Laufzeit bis 2028 zugeteilt. "Der Kupon wurde auf 5,5 Prozent festgelegt. Die Erstnotiz ist für den 4. Oktober geplant", nennt Brunner die Details. Nach Angaben von Daniel wird im Zuge des Umtausches einer älteren Anleihe auf die neue Anleihe 2028 das 2024 fällige Papier (DE000A2LQQ43) verkauft: "Das Zinsniveau wird an die neue Anleihe angepasst."

Verkäufe registriert Daniel auch bei Immobilien-Anleihen, wo besonders die DIC-Asset (DE000A2NBZG9) mit Laufzeit 2023 und 3,5 Prozent Verzinsung hervorsticht: "Die zuletzt scharfen Kursrückgänge der Immobilienaktien machen auch vor den Anleihen dieser Branche nicht halt."

Andererseits würden auch mögliche Chancen anderer Währungen beim Kauf von Unternehmensanleihen berücksichtigt: So ist bei Daniel ein Schuldtitel von Anheuser-Busch InBev (BE6295393936) in Britischen Pfund auf den Kauflisten. "Zusätzlich zu den Renditen könnten solche Anleihen über die Währung zusätzliches Potential haben."

von: Antje Erhard, 30. September 2022, © Deutsche Börse AG

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)