"Ich glaube grundsätzlich, dass wir ab einem bestimmten Zeitpunkt einen neuen Impfstoff gegen diese neue Variante benötigen werden", sagte Sahin am Freitag auf der Konferenz "Reuters Next". Die Frage sei, wie dringend dieser benötigt werde. Sahin erwartet, dass sich Omikron als Antikörper-Escape-Variante entwickeln wird. "Das bedeutet, dass diese Variante möglicherweise in der Lage ist, geimpfte Personen zu infizieren." Dies gelte auch für Genesene.

Bei Escape-Mutationen hat sich das ursprüngliche Virus so verändert, dass es der Immunantwort Genesener oder Geimpfter teilweise entgehen kann. Dass Viren mutieren, ist bekannt und laut Sahin nicht überraschend. Allerdings habe ihn das Tempo überrascht. "Dieses hoch mutierte Virus kam früher, als ich erwartet hatte. Ich hatte irgendwann nächstes Jahr damit gerechnet und es ist schon bei uns." Zwei Tatsachen seien aber weiterhin gültig: Impfungen schützten vor schweren Covid-Erkrankungen. Und Biontech könnte bei Bedarf seinen Impfstoff relativ schnell anpassen, bekräftigte Sahin. Bei der Delta-Variante sei dies noch nicht nötig gewesen.

Die Omikron-Variante, die erstmals in Südafrika entdeckt wurde und inzwischen in zahlreichen anderen Ländern, hat weltweit Alarm ausgelöst. Wissenschaftler äußerten sich vor allem besorgt über die hohe Zahl der Mutationen am Spike-Protein des Virus und arbeiten mit Hochdruck daran, die Gefahr einzuschätzen. Die EU-Gesundheitsbehörde ECDC rechnet damit, dass Omikron schon bald die vorherrschende Variante in Europa sein wird. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert die Impfstoff-Hersteller auf, sich auf eine Anpassung ihrer Vakzine gegen die Omikron-Variante einzustellen.

Özlem Türeci, Medizinchefin und Mitgründerin von Biontech, sagte, noch sei nicht klar, wie ansteckend die Omikron-Variante sein könnte. "Das müssen wir im Laufe der Zeit lernen, und im Laufe der Zeit meine ich wirklich im täglichen, wöchentlichen Horizont und Experten beobachten das genau." Sahin zeigte sich zuversichtlich, dass Personen, die bereits ihre dritte Impfung erhalten hätten, ausreichend geschützt seien - möglicherweise nicht nur gegen schwere Verläufe, sondern gegen jegliche Art der Erkrankung für einen bestimmten Zeitraum. Die Wahrscheinlichkeit steige aber, dass wie bei der Grippe jährliche Corona-Impfungen erforderlich sein könnten. Das Virus mutiere schneller. Bei Nichtgeimpften könnte es dann sogar zu noch schwereren Verläufen als gegenwärtig kommen.

Sahin hatte Anfang der Woche zu Reuters gesagt, mehr Klarheit über die Wirksamkeit der bestehenden Impfstoffe erwartet er nach der Auswertung von Labortests in rund zwei Wochen. Er gehe aber davon aus, dass der bestehende Covid-19-Impfstoff des Unternehmens und seines US-Partners Pfizer auch bei der neuen Omikron-Variante einen deutlichen Schutz gegen schwere Erkrankungen biete.