Washington (Reuters) - US-Präsident Joe Biden hat in seiner Rede zur Lage der Nation das Bild von einem starken Amerika gezeichnet, das unter seiner Führung historische Herausforderungen gemeistert habe.

"Covid kontrolliert heute nicht mehr unser Leben", sagte er am Dienstagabend (Ortszeit; Nacht auf Mittwoch MEZ) im Kapitol vor Abgeordneten beider Kongress-Kammern, Mitgliedern des Obersten Gerichts, Ministern und hochrangigen Militärs. "Und vor zwei Jahren sah sich unsere Demokratie mit der größten Bedrohung seit dem Bürgerkrieg konfrontiert. Heute, obwohl unsere Demokratie verletzt ist, bleibt sie ungebeugt und ungebrochen." Die Rede zur besten Sendezeit fand vor dem Hintergrund der Präsidentenwahl im kommenden Jahr statt.

In einem vergleichsweise kurzen Abschnitt zur Außenpolitik sagte Biden der Ukraine die Hilfe der USA zu, so lange dies nötig sei. Die russische Invasion sei eine Prüfung für die ganz Welt, die USA habe bei der Reaktion darauf eine Führungsrolle eingenommen. "Wir haben die Nato geeint. Wir haben eine globale Koalition aufgebaut", sagte Biden. Zu China erklärte er, die USA seien zur Zusammenarbeit bereit. Allerdings: "Wie wir vergangene Woche gezeigt haben, wenn China unsere Souveränität bedroht, werden wir handeln, um unser Land zu schützen. Und das haben wir getan", sagte er unter Verweis auf den Abschuss eines mutmaßlichen chinesischen Spionageballons.

Der Schwerpunkt der gut 70-minütigen Rede lag jedoch auf der Innen- und Wirtschaftspolitik. Biden verwies auf Erfolge seiner Regierung, etwa bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. Von den Abgeordneten forderte er eine Reihe von Maßnahmen wie einen stärken Datenschutz für Minderjährige gegenüber großen Tech-Konzernen, eine Obergrenze für "Big Pharma" beim Preis für Insulin, Polizei-, Bildungs- und Arbeitsrecht-Reformen sowie ein Gesetz, das das Recht auf Abtreibung wieder auf Bundesebene einführe. "Das Steuersystem ist nicht fair", klagte Biden und verwies auf Unternehmen, die angesichts hoher Gewinne einen gerechten Beitrag leisten müssten. Ausdrücklich verwies er dabei auf die jüngsten Milliarden-Profite der Energie-Konzerne.

"MEINE REPUBLIKANISCHEN FREUNDE"

Vor der Rede hatte das Präsidialamt mehrere Punkte bereits veröffentlicht, etwa einen geplanten Mindeststeuersatz für Milliardäre, die Forderung nach einer Vervierfachung der Steuer auf Aktienrückkäufe und ein Ende des Streits im Kongress über die Schuldenobergrenze. Sollte diese nicht in den kommenden Monaten erhöht werden, droht dem Bund die Zahlungsunfähigkeit. Seit der Kongresswahl im vergangenen Jahr kontrollieren die Republikaner das Repräsentantenhaus. Einige von ihnen stellen Bedingungen für ihre Zustimmung, was Biden ablehnt.

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Kongress ist es fraglich, inwieweit der Demokrat die vorgestellten Pläne umsetzen kann. Biden sprach in seiner Rede wiederholt seine "republikanischen Freunde" an und rief zur Zusammenarbeit auf. In vorab veröffentlichten Auszügen ihrer Erwiderung für die Republikaner zeichnete die Gouverneurin von Arkansas, Sarah Huckabee Sanders, allerdings ein düsteres Bild von der Lage im Land. "Im Amerika der radikalen Linken besteuert Sie Washington und zündet Ihr hart verdientes Geld an", erklärte die frühere Pressesprecherin von Ex-Präsident Donald Trump. Auf den Bürgern lasteten die hohen Benzinpreise und leeren Lebensmittelregale. "Und unseren Kindern wird beigebracht, sich wegen ihrer Rasse zu hassen."

AUFTAKT ZUM PRÄSIDIAL-WAHLKAMPF 2024

Der Präsident muss laut US-Verfassung dem Kongress Rechenschaft ablegen zu der Situation im Land. Auch wenn dies ursprünglich nur als Bericht des Staatsoberhaupts an die Legislative gedacht war - früher reichten Präsidenten ihn schriftlich ein - stellt die Rede im Zeitalter von Massenmedien eine der wichtigsten Möglichkeiten für einen US-Präsidenten dar, sich direkt an das Volk zu wenden. Im vergangenen Jahr verfolgten geschätzte 38,2 Millionen US-Bürger - mehr als ein Zehntel der Bevölkerung - die Rede live im Fernsehen.

In diesem Jahr gilt die "State of the Union" zudem als informeller Beginn des Präsidialwahlkampfs für die Abstimmung 2024. Der 80-jährige Biden muss um die Unterstützung seiner Demokraten werben, von denen einige allein wegen seines Alters Zweifel an einer weiteren Amtszeit hegen. Auch die Bevölkerung zeigte sich zuletzt in einer Reuters/Ipsos-Umfrage skeptisch zu Bidens Leistungen. Die Zustimmung zu seiner Politik lag bei 41 Prozent und damit zwar etwas höher als drei Wochen zuvor. Der bisherige Tiefststand seiner Amtszeit lag im Mai-Juni 2022 bei 36 Prozent.

(Weitere Berichterstattung: Andrea Shalal und Patricia Zengerle; Geschrieben von Scot W. Stevenson, redigiert von Katharina Loesche; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Jeff Mason und Trevor Hunnicutt und Nandita Bose