Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) steht nach Einschätzung von Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding vor keinem langen Zinserhöhungszyklus. Schmieding schreibt in einer Analyse nach dem geldpolitischen Forum der EZB in Sintra: "Anstelle einer langen Serie von Zinserhöhungen wird die EZB möglicherweise schon nach 100 Basispunkten, vielleicht sogar schon nach 75 Basispunkten aufhören müssen, da eine Rezession einsetzt."

Schmieding ist in Sintra zu der Erkenntnis gelangt, dass die EZB zwar hart gegen die Inflation vorgehen möchte und auch nach außen hin hart wirken möchte, dass ihr aber andererseits die Rezessionsrisiken vollkommen bewusst sind. "Die Entscheidungsträger scheinen jedoch noch weit davon entfernt zu sein, eine Rezession als wahrscheinlichstes Szenario zu betrachten, wie wir es tun", schreibt Schmieding und fügt hinzu: "Wenn wir Recht haben, könnte die EZB in der nächsten kalten Jahreszeit eine böse Überraschung erleben."

Er erwartet für 2023 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,8 Prozent, ausgelöst von den großen Zinserhöhungen der Fed und der Reduzierung der russischen Gaslieferungen. Die EZB prognostiziert dagegen ein Plus von 2,1 Prozent.

Schmieding nimmt an, dass die im Dezember anstehenden Projektionen für 2025 unterhalb jener Inflationsprognosen für 2024 von 2,1 (Gesamtrate) und 2,3 (Kernrate) liegen werden, die die EZB im Juni veröffentlicht hatte. "Das würde gegen eine Zinserhöhung im Dezember sprechen." Selbst wenn die Falken im Rat im Dezember noch 25 Basispunkte durchsetzen würden, wäre angesichts der dann einsetzenden Rezession laut Schmieding bei einem Einlagenzins von 0,50 (derzeit: minus 0,50) Prozent und einem Hauptrefinanzierungssatz von 1,00 Prozent Schluss.

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June 30, 2022 05:41 ET (09:41 GMT)