FRANKFURT (Dow Jones)--Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wird sein Amt zum Ende des Jahres aus "persönlichen Gründen" aufgeben. Diese überraschende Entscheidung sorgt für eine Vielzahl von Reaktionen und Einschätzungen:


Krämer (Coba): Nachfolger wird weniger falkenhaft sein 

Einen wichtigen Faktor für den Rücktritt von Weidmann sieht Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer darin, dass sich der Bundesbank-Präsident im EZB-Rat mit seinen Vorstellungen häufig nicht habe durchsetzen können. Daher werde ein Nachfolger wohl weniger falkenhaft sein als Weidmann. Zwar verweise Weidmann auf persönliche Gründe für seine Entscheidung. Auffällig sei jedoch, dass Aussagen über die Geldpolitik in seinen Schreiben einen breiten Raum einnehmen. Die Commerzbank erwartet jetzt mehr denn je, dass die EZB auf absehbare Zeit nicht aus ihrer sehr expansiven Geldpolitik aussteigt, obwohl die Inflationsrisiken zuletzt deutlich gestiegen sind.


Finanzministerium dankt Weidmann für vertrauensvolle Zusammenarbeit 

Das Bundesfinanzministerium hat mit einem Dank an Bundesbankpräsident Jens Weidmann auf dessen Rücktrittsankündigung reagiert. "Danke für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit, Jens Weidmann!", erklärte Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt über den Kurznachrichtendienst Twitter als Reaktion auf die entsprechende Mitteilung der Bundesbank.


Berenberg: Rücktritt ändert nicht viel im EZB-Rat 

Berenberg-Ökonom Holger Schmieding richtet den Blick auf mögliche Nachfolger für Weidmann und die Konsequenzen für die EZB. "Er ist ein bemerkenswerter Falke im EZB-Rat. Die neue Bundesregierung wird wahrscheinlich einen weniger falkenhaften Nachfolger ernennen; vielleicht Isabel Schnabel (derzeit im EZB-Direktorium) oder jemand mit ähnlichen Mainstream-Ansichten. Weidmanns Rücktritt könnte die Debatte innerhalb der EZB ein wenig mehr in Richtung der Tauben kippen. Aber nicht sehr viel. Er ist nicht der einzige Falke im EZB-Rat", meint Schmieding. Außerdem wären viele Mitglieder des EZB-Rats bereit, die Ankäufe früher auslaufen zu lassen und die Zinssätze früher anzuheben, als es die derzeitige EZB-Leitlinie vorsieht, falls die Inflation die EZB nach oben überraschen sollte. Weidmann werde auch dann noch dabei sein, wenn der EZB-Rat am 16. Dezember entscheidet, um wie viel er die standardmäßigen APP-Käufe aufstocken und flexibler gestalten wird, wenn die PEPP-Käufe ab April 2022 wahrscheinlich auslaufen werden.


ING: Weidmann setzt Tradition der Rücktritte fort 

Jens Weidmann setze fort, was schon fast zur Tradition geworden sei, nämlich dass deutsche Zentralbanker vor dem offiziellen Ende ihrer Amtszeit ausscheiden, meint ING-Europa-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Man denke nur an seine beiden Vorgänger Axel Weber und Ernst Welteke oder die EZB-Direktoren Jürgen Stark, Jörg Asmussen und Sabine Lautenschläger. "Zugegeben, die Gründe für ihr vorzeitiges Ausscheiden waren unterschiedlich, und nur Weber und Stark verließen das Direktorium, nachdem sie öffentlich mit dem geldpolitischen Kurs der EZB nicht einverstanden waren", räumt Brzeski ein. Die nächsten Stunden und Tage könnten zeigen, ob Weidmanns Entscheidung mit dem aktuellen geldpolitischen Kurs und der Inflationseinschätzung der EZB zusammenhängt. "Wir gehen davon aus und hoffen, dass dieser Entscheidung keine gesundheitlichen oder privaten Gründe zugrunde liegen, sondern wirklich 'nur' persönliche Gründe", fügt Brzeski hinzu.

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October 20, 2021 06:52 ET (10:52 GMT)