FRANKFURT (Dow Jones)--Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wird sein Amt zum Ende des Jahres aus "persönlichen Gründen" aufgeben. Diese überraschende Entscheidung sorgt für eine Vielzahl von Reaktionen und Einschätzungen:


IfW: Weidmann steht "wie wenige andere für Geldwertstabilität" 

Weidmanns Rücktritt fällt für den Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths, "in eine Zeit, in der die Geld- und Finanzpolitik vor erheblichen Herausforderungen steht". Insbesondere zeichne sich ab, dass der Euroraum den Weg aus der Nullzinspolitik finden müsse, was "kein Spaziergang wird". Weidmann stehe "wie wenige andere konsequent für das Bekenntnis zur Geldwertstabilität". Es komme jetzt darauf an, "diese wichtige Position überzeugend nachzubesetzen." Sollte die Bundesbank als Mahnerin gegen Gefahren monetärer Staatsfinanzierung ausfallen, werde dies nicht ohne Einfluss auf die Inflationserwartungen bleiben. "Eine solche Entwicklung wäre ohnehin schon problematisch, in der jetzigen Situation käme sie zur völligen Unzeit."


BVR-Präsidentin für Fortsetzung der Stabilitätsorientierung der Bundesbank 

Jens Weidmann habe sich als Bundesbank-Präsident stets für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik eingesetzt und habe als Ökonom eine exzellente Reputation, sagte die Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Marija Kolak. "Besonders wichtig war sein Einsatz für die Unabhängigkeit der Geldpolitik und die Wahrung stabiler Staatsfinanzen. Nun ist die Politik gefordert, bei der Nachfolge die Stabilitätsorientierung der Bundesbank fortzusetzen und so das Vertrauen in die Geldpolitik angesichts erhöhter Inflationsrisiken zu stärken", sagte sie.


Habeck will Bundesbank "auf der Höhe der Herausforderungen der Zeit" 

Grünen-Co-Chef Robert Habeck hat Weidmann für seine Arbeit gedankt und zugleich eine Modernisierung der Bundesbank gefordert. "Ich habe großen Respekt vor der Arbeit von Jens Weidmann" sagte Habeck der Süddeutschen Zeitung. Weidmann habe die Bundesbank mehr als zehn Jahre lang mit starkem Engagement geführt. "Bei allen inhaltlichen Differenzen, die wir haben, habe ich ihn als jemanden wahrgenommen, der offen ist für Argumente und mit großer Glaubwürdigkeit für seine Positionen einsteht", sagte er. Zugleich forderte er, den Abschied als Chance für einen Neuanfang zu begreifen - "Für die Zukunft braucht es eine Bundesbank, die auf der Höhe der Herausforderungen der Zeit agiert."


Lindner: Wechsel an Bundesbank-Spitze darf nicht zu Kursänderung führen 

FDP-Chef Christian Lindner hat nach dem angekündigten Rücktritt von Bundesbankpräsident Jens Weidmann gefordert, dass mit dem Wechsel an der Spitze der Notenbank "keine Änderung des politischen Kurses der Bundesbank verbunden werden" dürfe. "Die Deutsche Bundesbank muss weiter Anwältin einer stabilitätsorientierten Geldpolitik in Europa bleiben", hob er hervor. Gerade angesichts der jüngsten Inflationsrisiken wachse die Bedeutung der Bundesbank in dieser Funktion. "Auf diese Inflationsrisiken muss reagiert werden können, und das beste Mittel dafür ist, die Stabilität unserer Währung im Blick zu behalten." Die FDP wolle ihren "Einfluss nutzen", um einen Kurswechsel zu verhindern.


Merkel nimmt Weidmanns Rücktritt mit Bedauern und Respekt zur Kenntnis 

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat laut ihrem Sprecher mit Bedauern auf Weidmanns Rücktrittsankündigung reagiert. "Die Bundeskanzlerin nimmt die Erklärung des Bundesbankpräsidenten, dass er zum Ende des Jahres sein Amt aufgeben will, mit Bedauern und mit großem Respekt zur Kenntnis", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert bei einer Pressekonferenz in Berlin. Weidmann habe die Bundesbank mehr als zehn Jahre lang "überaus erfolgreich geleitet". Er habe Merkel "vorher über seine Absicht informiert". Seibert stellte klar, es werde die Aufgabe "einer kommenden Bundesregierung sein, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden, der eben das stabilitätsorientierte Erbe der Bundesbank fortsetzt."


Scholz dankt Weidmann für "außerordentliches Engagement" 

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat Weidmann für sein Wirken gedankt und auch seine positive Rolle bei für die internationalen Finanzmärkte unterstrichen. "Ich danke Jens Weidmann für sein außerordentliches Engagement an der Spitze der Bundesbank", erklärte Scholz über den Kurznachrichtendienst Twitter. "Er hat nicht nur die Geldpolitik in Deutschland und Europa maßgeblich geprägt, sondern auch die Weiterentwicklung der internationalen Finanzmärkte vorangebracht", hob der Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD hervor.


BdB/Sewing zollt Weidmann Achtung und Respekt 

"Jens Weidmann war ein Jahrzehnt lang ein starker Präsident der Bundesbank und eine international sehr geachtete Stimme in der Geldpolitik", so Christian Sewing, Präsident des Bundesverbands deutscher Banken (BdB). Weidmann habe auch "in turbulenten Zeiten, unter anderem während der Euro-Krise und der Corona-Pandemie, den geldpolitischen Stabilitätskurs verteidigt, aber gleichzeitig die gesamtwirtschaftliche Situation im Blick behalten." Dafür gebühre ihm große Anerkennung und Respekt, sagte Sewing, der auch Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank ist.


ZEW: Rücktritt ist herber Verlust für EZB 

ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann sieht in dem Rücktritt von Jens Weidmann einen herben Verlust für den EZB-Rat. "Weidmann gehört zu den wenigen Mahnern im Rat, die kontinuierlich vor einer Überforderung der Geldpolitik und einer zu großen Nähe zur Fiskalpolitik warnen. 2022 könnte den entscheidenden Test bringen, ob die EZB das Ziel der Inflationsbekämpfung ernster nimmt als das Interesse der Finanzminister an niedrigen Zinsen und Anleihekäufen", erklärt Heinemann. Hier werde Weidmann fehlen. Die neue Bundesregierung habe eine große Verantwortung bei der Neubesetzung. Wenn Deutschland eine geldpolitische Taube in den EZB-Rat schicken würde, wäre das fatal.


Krämer (Coba): Nachfolger wird weniger falkenhaft sein 

Einen wichtigen Faktor für den Rücktritt von Weidmann sieht Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer darin, dass sich der Bundesbank-Präsident im EZB-Rat mit seinen Vorstellungen häufig nicht habe durchsetzen können. Daher werde ein Nachfolger wohl weniger falkenhaft sein als Weidmann. Zwar verweise Weidmann auf persönliche Gründe für seine Entscheidung. Auffällig sei jedoch, dass Aussagen über die Geldpolitik in seinen Schreiben einen breiten Raum einnehmen. Die Commerzbank erwartet jetzt mehr denn je, dass die EZB auf absehbare Zeit nicht aus ihrer sehr expansiven Geldpolitik aussteigt, obwohl die Inflationsrisiken zuletzt deutlich gestiegen sind.


Lagarde: Weidmann beeindruckte mit seinem konstruktiven Ansatz 

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat den Rücktritt von Weidmann bedauert. Er habe klare Ansichten zur Geldpolitik vertreten, wobei sie stets beeindruckt war "von seiner Suche nach einer gemeinsamen Basis im EZB-Rat, von seinem Einfühlungsvermögen für seine Kollegen im Eurosystem und von seiner Bereitschaft, einen Kompromiss zu finden." Dies habe sich besonders deutlich bei der Strategieüberprüfung gezeigt, "zu deren erfolgreicher einstimmiger Einigung im EZB-Rat er maßgeblich beitrug", heißt es in einer Erklärung von Lagarde. Außerdem habe er als dienstältestes Mitglied des EZB-Rates über eine unvergleichliche Erfahrung verfügt, die er immer bereit gewesen sei zu teilen. Weidmann gehörte dem Gremium mehr als zehn Jahren an.

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October 20, 2021 10:55 ET (14:55 GMT)