LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Beim Pharma- und Agrarkonzern Bayer nehmen die schlechten Nachrichten kein Ende. Jüngst brachen die Leverkusener überraschend eine klinische Studie mit einem wichtigen Hoffnungsträger ab, dem Blutgerinnungshemmer Asundexian. Die Agrarsparte ringt weiter mit den Rechtsstreitigkeiten rund um den Unkrautvernichter Glyphosat und der mittlerweile verbotenen Chemikalie PCB. Zudem steht der Konzernumbau inklusive einer möglichen Aufspaltung im Fokus. Was bei Bayer los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI BAYER:

Die Leverkusener nehmen derzeit viel Geld in die Hand, um die für die kommenden Jahre erwarteten Umsatzeinbußen bei ihren Kassenschlagern Xarelto und Eylea abzufedern. Nach und nach laufen die Patente für den Gerinnungshemmer und das Augenmedikament aus, die 2022 in Summe rund 7,7 Milliarden Euro und damit gut 15 Prozent des Konzernumsatzes einbrachten.

Als Nachfolger für den Kassenschlager Xarelto wurde Asundexian gehandelt. Völlig überraschend jedoch beendete Bayer jüngst eine zulassungsrelevante Studie mit dem Mittel vorzeitig, in der dessen Wirksamkeit bei Patienten mit Vorhofflimmern und Schlaganfallrisiko untersucht wurde. Asundexian, so hatten die Tests gezeigt, war der gängigen Standardbehandlung unterlegen.

Für die Börse war dies ein Schock, und auch für das Unternehmen dürfte dieser Rückschlag unerwartet gekommen sein. Denn zuvor hatte Bayer das Phase-III-Studienprogramm noch erweitert. Der Gerinnungshemmer, der einer noch recht jungen Wirkstoffklasse angehört, sollte früheren Angaben zufolge langfristig einen Jahresspitzenerlös von mehr als 5 Milliarden Euro bringen.

Die Frage ist, wie der Konzern die Patentklippe nun lösen will. Langfristig verspricht sich Bayer durch neuartige Gen- und Zelltherapien Rückenwind. In diesem Bereich kauften die Leverkusener in den vergangenen Jahren kräftig zu und gingen auch Kooperationen ein.

Unterdessen häufen sich die schlechten Nachrichten bezüglich der Rechtsstreitigkeiten rund um den Unkrautvernichter Glyphosat - zuletzt gab es nach einer Gewinnserie vor Gericht wieder Niederlagen für Bayer. Geschworenen-Jurys sprachen Personen, die den Wirkstoff für ihre Krebserkrankungen verantwortlich machen, teils hohe Entschädigungen zu. In einem Fall kürzlich waren es mehr als 1,5 Milliarden US-Dollar. Die Summen dürften von Richtern zwar noch gesenkt werden und der Konzern will ohnehin gegen die Urteile vorgehen, ein negatives Signal sind sie dennoch.

Zwar ist ein Großteil der Klagen bereits abgearbeitet, doch muss Bayer dafür weiter viel Geld auf die hohe Kante legen. Per 31. Dezember 2022 beliefen sich die Rückstellungen des Konzerns für Vergleiche bestehender und künftiger Glyphosat-Klagen noch auf 6,4 Milliarden Dollar. Bis dahin waren laut Unternehmen von den insgesamt circa 154 000 angemeldeten Ansprüchen rund 109 000 verglichen worden oder hatten die Vergleichskriterien nicht erfüllt.

Es gibt aber auch Lichtblicke in der Causa Glyphosat. Erst vor kurzem wurde der umstrittene Unkrautvernichter in der EU für weitere zehn Jahre zugelassen, allerdings mit Einschränkungen.

Die Glyphosat-Probleme hatte Bayer sich 2018 mit der mehr als 60 Milliarden Dollar teuren Übernahme des US-Agrarkonzerns Monsanto ins Haus geholt - ebenso wie die Streitigkeiten um die mittlerweile verbotene Chemikalie PCB. Das PCB wurde vielseitig eingesetzt, etwa in Bodenreinigern oder Farbe. Die US-Regierung hatte den Stoff 1979 verboten, nachdem er als krebsverdächtig eingestuft worden war.

Im Fokus steht bei Bayer inzwischen auch die Debatte um die künftige Konzernstruktur. Unternehmensangaben von Anfang November zufolge befasst sich der Konzern derzeit mit verschiedenen Optionen: etwa mit einer Trennung der Sparte Consumer Health und/oder der Sparte Crop Science. Was es nicht geben werde, sei eine gleichzeitige Aufspaltung in drei Teile, sagte der seit Juni amtierende Konzernchef Bill Anderson zur Vorlage der Zahlen zum dritten Quartal. Einige Investoren fordern schon länger eine Aufspaltung, da sie die Rechtsprobleme rund um Glyphosat als Belastung sehen und die Bayer-Einzelteile für wertvoller halten als den Konzern als Ganzes. Im März 2024 will Anderson seine Pläne vorstellen.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die gleich doppelt schlechten Nachrichten von Bayer zu Asundexian und Glyphosat drückten die Bayer-Aktie in dieser Woche auf den tiefsten Stand seit 17 Jahren. Allein am Montag waren zur Schlussglocke mehr als sieben Milliarden Euro Börsenwert dahin. Auch in den folgenden Handelstagen war von Erholung kaum eine Spur, das Papier rutschte auf das niedrigste Niveau seit Juni 2006. Auf Wochensicht hat das Papier Stand Freitagnachmittag mehr als ein Fünftel eingebüßt.

Seit Jahresbeginn ist der Kurs damit um knapp ein Drittel geschrumpft, womit das Papier zu den größten Verlierern im Dax zählt. Im deutschen Leitindex kam einzig der mit seiner strauchelnden Tochter Gamesa kämpfende Energietechnik-Konzern Siemens Energy bisher in diesem Jahr noch etwas stärker unter Druck.

Ganz besonders arg trifft es jedoch Anleger, die vor rund neun Jahren zu Bayers Boomphase an der Börse eingestiegen sind - und noch investiert sind. Im Frühjahr 2015 schoss das Papier auf den Rekordwert von mehr als 146 Euro. Damit war Bayer seinerzeit der wertvollste Dax-Konzern mit einer Marktkapitalisierung von rund 120 Milliarden Euro. Doch danach begann der Abwärtstrend, der nach dem Monsanto-Kauf durch Niederlagen in den Glyphosat-Prozessen noch verschärft wurde.

Die Talfahrt endete erst im Oktober 2020 bei einem Zwischentief von rund 40 Euro. Ein florierendes Agrargeschäft sorgte dann nur kurzzeitig für Auftrieb. Nach dem diesjährigen Jahreshoch im Februar ging es weiter steil nach unten - auch weil die Pharmasparte enttäuschte und Bayer im Juli seine Ziele kappte. Der seit dem Rekord im Jahr 2015 gültige übergeordnete Abwärtstrend hat unverändert Bestand.

Vor dem Wochenende kostete ein Bayer-Papier noch knapp 33 Euro - ein Rückschlag vom bisherigen Bestwert um knapp 80 Prozent. Mit einer Marktkapitalisierung von gut 32 Milliarden Euro liegt der Konzern in der Dax-Rangliste aktuell nur noch im Mittelfeld.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Nach den jüngsten Hiobsbotschaften und dem Kurssturz senkten bereits diverse Fachleute ihre Kursziele für Bayer. Andere haben noch nicht daran gerüttelt, sodass die von Bloomberg seit August erfassten Experten im Schnitt ein Kursziel in mittleren 50-Euro-Bereich ausrufen. Die Spanne ist mit 33 bis 90 Euro allerdings groß. Eine knappe Mehrheit empfiehlt den Kauf der Aktie, ein Verkaufsvotum gibt es aktuell nicht.

Die jüngsten Gerichtsniederlagen von Bayer könnten signalisieren, dass die Leverkusener einen Großteil oder die gesamte Summe der Glyphosat-Rückstellungen auch brauchen könnten, hatten Analysten der Bank Morgan Stanley erst jüngst in einer Einschätzung erklärt.

Derweil sieht nach dem Asundexian-Ausfall Analystin Emily Field von der britischen Bank Barclays zunächst immense Schwierigkeiten für das Pharmageschäft der Leverkusener. Eine niedrigere Bewertung sei angebracht, angesichts der Unsicherheit für den weiteren Weg nach Patentabläufen bei den wichtigen Mitteln Xarelto und Eylea - nun ohne Asundexian.

Auch für Jefferies-Analyst Charlie Bentley ist der Abbruch der Studie ein herber Rückschlag für Bayers Entwicklungs-Pipeline. Er strich in der Folge seine Kauf-Empfehlung. Die Herausforderungen für den neuen Konzernchef Bill Anderson würden damit noch größer, urteilte der Branchenexperte. Die Pipeline sei schwach und Investitionen seien erforderlich, während die Verschuldung hoch sei. Obendrein sei der Konzern weiter von Rechtsstreitigkeiten geplagt.

Für Bentley sind daher nun Veräußerungen notwendig. Strategisch gewinne man damit lediglich Zeit, aber nicht ausreichend Mittel, um das Problem der Pharmasparte mit der Patentklippe zu lösen./mne/tav/ajx/ngu/tih