HAMBURG (dpa-AFX) - Ohne eine EU-weite Industriepolitik zugunsten der Werften droht dem Schiffbau in Europa aus Branchensicht spätestens in zehn Jahren der endgültige Untergang. "Wir müssen etwas tun, damit wir diese Branche, diese strategische Fähigkeit in Europa nicht verlieren. Wenn wir das nicht geschafft haben, bleiben uns noch 10 Jahre", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), Reinhard Lüken, am Montag in Hamburg. "Danach wird Europa im Seeschiffbau keine signifikante Rolle mehr spielen, weil einfach die Akteure nicht mehr da sind."

Als größter der übermächtigen Gegner der europäischen Schiffbauer gilt seit Jahren China, dessen Einfluss auf die maritime Wirtschaft von Tag zu Tag wachse. Der VSM beklagt seit Jahren, dass China und unter chinesischem Wettbewerbsdruck auch Südkorea ihre Werften mit Milliardensubventionen stützen. "Normale Marktmechanismen werden aufgrund der staatlichen Eingriffe in Asien außer Kraft gesetzt", heißt es beim Verband.

"Dass es uns überhaupt noch gibt, haben wir unserer Innovationskraft zu verdanken mit entsprechenden Erfolgen in den High-End-Märkten insbesondere bei Kreuzfahrtschiffen, großen Jachten und Behördenschiffen", sagte Verbandspräsident Harald Fassmer. Wegen des kommerziellen Risikos hätten die meisten asiatischen Werften von diesen Bereichen "lieber die Finger gelassen". Aber der plötzliche und dramatische Einbruch der Nachfrage nach Kreuzfahrtschiffen zeige das "Risiko einer Strategie, die nur noch auf wenigen Standbeinen steht".

Keine Angaben mag der Verband dazu machen, in welchem Ausmaß die EU-Sanktionen gegen russische Milliardäre als potenzielle Superjacht-Kunden deutsche Hersteller treffen. "Der Markt der Megajachten ist ein diskreter Markt, so dass ich wirklich nicht sagen kann, in welcher Weise sich das auswirken wird", sagte Fassmer. "Natürlich ist die Situation aktuell nicht schön für unsere Mitglieder in dem Markt, aber sie ist auch nicht katastrophal", fügte Hauptgeschäftsführer Lüken hinzu. Er wies darauf hin, dass der Markt entgegen dem öffentlichen Eindruck aber nicht ausschließlich ein Markt der russischen Oligarchen sei. Der Kundenstamm sei größer, und die Bedeutung der russischen Kunden habe sogar "an Bedeutung eher abgenommen" im Vergleich zu Kunden aus Amerika und dem Mittleren Osten.

Als Beispiel für die riesigen Chancen, die der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft der maritimen Industrie bietet, nennt der VSM den von der Bundesregierung geplanten erheblich beschleunigten Ausbau der Windenergie auf See. Die Chancen sind aus Verbandssicht allerdings vorerst noch eher theoretisch. "Normalerweise sollten wir überquellen vor Arbeit, aber das ist tatsächlich Stand heute noch nicht der Fall", sagte Lüken. Er erinnerte an den "letzten großen Hype", den es um die Windenergie auf See gegeben habe, "der ist ja im Grunde genommen an vielen Stellen an der Industrie vorbeigegangen". Dabei gehe es nicht nur um die Windkraftanlagen selbst, sondern auch um die Infrastruktur, beispielsweise zusätzliche Errichterschiffe, Kranschiffe, Kabelleger, die derzeit längst nicht ausreichend zur Verfügung stünden.

"Es gibt gar keine Tonnage, um überhaupt den Transport der Baumaterialien zu organisieren", sagte Lüken. "Ich sehe im Moment noch nicht, wie das gehen soll, zumal die Enttäuschung beim letzten Hype wirklich groß war. Die Leute konnten kein Geld verdienen", ergänzte er. "Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, dass damit Geld verdient wird." Der Verband macht sich beispielsweise dafür stark, dass bei Ausschreibungen künftig die heimische Fertigung ein Vergabekriterium wird. "Es kann doch nicht sein, dass wir den ganzen Mist aus Asien herschippern."

Unterstützung bekommt der Verband auch von Gewerkschaftsseite: "Deutschland braucht die Werften. Sie sind für die Energieversorgung und die Sicherheit unverzichtbar", sagte der Bezirksleiter Küste der IG Metall, Daniel Friedrich. "Der Bau von Konverterplattformen und Spezialschiffen für die Offshore-Industrie oder von Tankern für den Transport von Flüssigerdgas sowie der Bau und die Instandhaltung für die Marine sind Chancen für Beschäftigte und Standorte."

Aktuell geraten die deutschen und europäischen Werften immer weiter gegenüber der asiatischen Konkurrenz ins Hintertreffen. Von einem Auftragsvolumen von rund 30 Milliarden Dollar (28 Mrd Euro) hätten Reeder aus der EU im vergangenen Jahr 57 Prozent nach Südkorea und 38 Prozent nach China vergeben; in der EU sei nur ein Prozent davon gelandet, berichtete der VSM. "Europa hat nach zwei schwachen Jahren noch mal an Boden verloren bei den neuen Aufträgen", sagte Lüken./kf/DP/stw