Kiew/Peking (Reuters) - Russland wirft der Ukraine den erneuten Beschuss seiner Grenzregionen vor und lässt zugleich nach ukrainischen Angaben in seinen täglichen Angriffen auf Kiew nicht nach.

In der Grenzregion Belgorod seien bei ukrainischem Beschuss einer Straße zwei Frauen in einem dort entlang fahrenden Auto getötet worden, teilte der Gouverneur des Gebiets, Wjatscheslaw Gladkow, am Freitag mit. In der Nacht habe es auch einen Angriff auf Schebekino gegeben. Dort seien 2500 Menschen in Sicherheit gebracht worden. Auch aus anderen Gebieten im Westen Russlands gab es Berichte von Angriffen. Der Gouverneur der Oblast (Gebiet) Brjansk sagte, zwei Orte in Grenznähe seien von ukrainischen Truppen beschossen worden. Im benachbarten Kursk sollen laut Behörden mehrere Gebäude beschädigt worden sein. In der Oblast Smolensk wurden zwei Orte von Langstrecken-Drohnen angegriffen, wie der dortige Gouverneur mitteilte. Smolensk liegt weiter nördlich und grenzt im Westen an Belarus. Die Ukraine dementiert, russisches Gebiet anzugreifen. Sie erklärte, dass russische Freiwilligenkorps dahintersteckten.

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew ging die Angriffswelle in der Nacht weiter. 15 Raketen und 21 Drohnen seien abgeschossen worden, teilte die ukrainische Luftwaffe mit. Zu Schaden kam in der Stadt selbst offenbar niemand. Herabfallende Trümmerteile hätten außerhalb der Stadt jedoch zwei Menschen verletzt, teilten die örtlichen Behörden mit. Seit Anfang Mai hat es etwa 20 Angriffe auf Kiew gegeben. Die ukrainische Regierung geht davon aus, dass damit die Vorbereitungen für eine großangelegte Gegenoffensive gestört werden sollen.

Der Krieg in der Ukraine begann Ende Februar 2022 als russische Truppen im Nachbarland einmarschierten. Jegliche Bemühungen, auch die des russischen Partners China, für Friedensverhandlungen scheiterten bislang. Nach Einschätzung Chinas gibt es aber noch Chancen. Er gehe davon aus, dass keine der beiden Konfliktparteien "die Tür für Verhandlungen fest verschlossen habe", sagte Li Hui, der Sonderbeauftragte der chinesischen Regierung für eurasische Angelegenheiten. Allerdings sei es immer noch sehr schwierig, beide zu Verhandlungen zu bewegen. Die russische Seite schätze Chinas Bemühungen zur friedlichen Lösung der Ukraine-Krise. Das Risiko einer Eskalation des Krieges sei aber noch immer hoch, sagte Li bei einer Pressekonferenz zu seiner Europa-Reise im Mai, auf der er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und den russischen Staatschef Wladimir Putin getroffen hat. China könne sich vorstellen, eine weitere Delegation nach Europa zu schicken, um im Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. Die Kluft zwischen beiden sei groß.

Li rief beide Seiten auf, zur Entspannung der Lage beizutragen und die Sicherheit von Atomanlagen zu gewährleisten. So steht das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja seit Monaten unter russischer Besatzung, das Gelände ist wiederholt unter Beschuss geraten. In der gleichnamigen Region haben nach Angaben der russischen Besatzungsverwaltung ukrainische Streitkräfte am Freitag ein Krankenlager angegriffen. Informationen über Opfer und Schäden würden noch geklärt, teilte der von Russland eingesetzte Chef der Verwaltung, Wladimir Rogow, auf dem Kurznachrichtendienst Telegram mit.

(Bericht von Pavel Polityuk, Laurie Chen, Reuters-Reporterinnen und Reporter, geschrieben von Kerstin Dörr, redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)