Shanghai (Reuters) - Chinas Stromkrise droht Analysten zufolge größere Folgen für die Wirtschaft zu haben als das Schuldenproblem beim Immobilienentwickler Evergrande.

"Die Evergrande-Krise entwickelt sich schon seit geraumer Zeit, und ich denke, dass die Risiken gezielt entschärft werden", sagte Hedgefondsmanager Yuan Yuwei von Water Wisdom Asset Management. Die Stromausfälle würden hingegen das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage stören. Das wiederum wirke sich direkt auf den Konsum und die Realwirtschaft aus. "Die Folgen werden eher außer Kontrolle geraten", warnte Yuan.

20 Provinzen haben seit Mitte August Stromabschaltungen vorgenommen, darunter die Industriezentren Guangdong, Zhejiang und Jiangsu. Das setzt die Profitabilität unter Druck. Das Gewinnwachstum der chinesischen Industrieunternehmen hat sich im August bereits den sechsten Monat in Folge abgeschwächt. Die Überschüsse legten nur noch um 10,1 Prozent zum Vorjahresmonat zu.

China sieht sich einem Energieengpass gegenüber. Hervorgerufen wird der durch knappe Kohlevorräte, strengere Emissionsnormen und eine starke Nachfrage seitens der Hersteller. Das hat zu weitreichenden Drosselungen des Stromverbrauchs geführt. Manche Fabriken haben ihren Betrieb aufgrund von Stromknappheit und staatlichen Auflagen zur Einhaltung von Emissionszielen sogar eingestellt. Die Großbanken Goldman Sachs und Nomura haben daraufhin ihre Prognosen für das chinesische Wirtschaftswachstum in diesem Jahr auch deshalb bereits nach unten korrigiert. Die Aktien chinesischer Chemieproduzenten, Automobilhersteller und Schifffahrtsunternehmen sind gefallen, während Aktien aus dem Bereich der erneuerbaren Energien in die Höhe geschnellt sind.

Ein Börsenindex, der Nichteisenmetallhersteller wie Kupfer- und Aluminiumunternehmen abbildet, ist in diesem Monat bereits um 15 Prozent gefallen. Die Aktien der größten Stahlhersteller Chinas sind eingebrochen: Baoshan Iron & Steel und Angang Steel haben seit ihren jüngsten Höchstständen von Mitte September jeweils mehr als 20 Prozent verloren.

Die Produktion von Stahl, Aluminium und Zement sowie der Bau von Infrastrukturen seien von den Stromausfällen und Lieferbeschränkungen unmittelbar betroffen, schrieben die Analysten von Morgan Stanley. Die Probleme könnten auf weitere Branchen wie die Schifffahrt und die Autobauer übergreifen. Yang Tingwu, stellvertretender Geschäftsführer des Hedgefondshauses Tongheng Investment, sagte, er bevorzuge jetzt Unternehmen mit wenigen Fabriken. Chinas Beschränkungen für Energie- und Kohlenstoffemissionen seien "auf kurze Sicht schlechte Nachrichten für die Gesamtwirtschaft".

Bei Investoren steigt derweil die Hoffnung auf staatliche Hilfen für den schuldenbeladenen Immobilienkonzern Evergrande. Die chinesische Zentralbank signalisierte Unterstützung für private Anleger, denen Evergrande Milliarden schuldet.