Vor diesem Hintergrund bemühen sich nun mehrere Pharmaunternehmen, neuartige Therapien zu entwickeln, die nicht nur das Gewicht reduzieren, sondern gleichzeitig den Erhalt oder gar den Aufbau von Muskelmasse fördern.
Eli Lilly investierte 2023 knapp zwei Milliarden US-Dollar in den Erwerb von Bimagrumab, einer von Versanis Bio entwickelten Substanz, die die Aktivität von Myostatin hemmt – einem Protein, das den Muskelabbau begünstigt. Derzeit führt Lilly klinische Studien der mittleren Phase durch, in denen Bimagrumab sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit Wegovy getestet wird. Ziel ist es, den Einfluss auf das Gesamtkörpergewicht zu bewerten. Darüber hinaus kooperiert Lilly mit dem chinesischen Unternehmen Laekna an einem vergleichbaren Wirkstoff.
Regeneron testet derweil Trevogrumab, einen monoklonalen Antikörper aus derselben Wirkstoffklasse wie Bimagrumab, in Kombination mit Wegovy sowie dem Präparat Garetosmab. Die dreigeteilte Studie an gesunden und adipösen Probanden untersucht unter anderem Veränderungen von Körpergewicht, Fettmasse, Taillenumfang, Körperzusammensetzung sowie Muskelvolumen in den Oberschenkeln. Ergebnisse werden im kommenden Jahr erwartet.
Scholar Rock prüft die Wirksamkeit des experimentellen Medikaments Apitegromab, das ebenfalls auf Myostatin abzielt, in Kombination mit Lillys Zepbound. Erste Ergebnisse der Phase-II-Studie legen nahe, dass durch die Kombination mehr fettfreie Masse erhalten bleibt als bei einer alleinigen Behandlung mit Zepbound.
Auch Roche engagiert sich in diesem Bereich und hat im vergangenen Jahr eine Studie mit dem Wirkstoff RG6237 gestartet – einer Einmaltherapie für übergewichtige Personen. Dieser sogenannte „Anti-latente-Myostatin“-Ansatz zielt darauf ab, die inaktive Form des Proteins im Blutkreislauf zu eliminieren. Eine kombinierte Zwischenstudie mit Roches eigenem GLP-1-Kandidaten CT-388 soll noch in diesem Jahr beginnen.
Biohaven testet Taldefgrobep alfa, einen weiteren Myostatin-Hemmer, in einer Frühphase-Studie zur Adipositasbehandlung. Während der Wirkstoff bei Patienten mit spinaler Muskelatrophie keine signifikanten motorischen Verbesserungen zeigte, konnte eine Reduktion der Fettmasse sowie eine – wenn auch numerische – Zunahme der fettfreien Körpermasse und Knochendichte im Vergleich zum Placebo festgestellt werden. Eine Zwischenstudie an adipösen Patienten ist in Vorbereitung.
Keros Therapeutics arbeitet an KER-065, einer Substanz, die sowohl auf Myostatin als auch auf Activin A abzielt. In Studien an adipösen Mäusen führte das Mittel – allein oder in Kombination mit Semaglutid, dem Wirkstoff in Wegovy und Ozempic – zu einer Reduktion der Fettmasse. Eine klinische Frühphase-Studie mit übergewichtigen Männern läuft bereits. Erste Ergebnisse werden für das erste Quartal 2025 erwartet.
Northstrive Biosciences, eine Tochtergesellschaft von PMGC Holdings (vormals Elevai Labs), hat im vergangenen Jahr zwei Myostatin-Inhibitoren – EL-22 und EL-32 – vom südkoreanischen Unternehmen MOA Life Plus übernommen. Northstrive plant, in diesem Jahr eine Zulassung bei der US-Arzneimittelbehörde FDA zu beantragen, um erste Studien am Menschen in Kombination mit GLP-1-Therapien zu starten.
Veru setzt unterdessen auf Enobosarm, ein oral verabreichtes Präparat, das auf Androgenrezeptoren zielt – Hormone, die für die körperliche Entwicklung wichtig sind. In einer Studie der mittleren Phase verloren Patienten, die Enobosarm zusammen mit Wegovy einnahmen, durchschnittlich 71 % weniger fettfreie Masse als jene, die Wegovy mit einem Placebo erhielten. Eine weiterführende Studie soll klären, ob das Medikament die Muskelkraft beim Treppensteigen bei über 60-Jährigen verbessert.
Die kanadische Biotechfirma 35Pharma will mit dem experimentellen Wirkstoff HS235 in eine Frühphase-Studie zur Sicherheitsbewertung einsteigen. Der Arzneistoff richtet sich gegen die Liganden Activin und GDF, zwei Proteine, die eine Schlüsselrolle bei der Regulation der Skelettmuskulatur, des Blutbilds und des Knochenstoffwechsels spielen. Erste Ergebnisse werden für das zweite Halbjahr 2025 erwartet.
Schließlich entwickelt Arrowhead Pharmaceuticals zwei RNA-basierte Adipositas-Therapien – ARO-INHBE und ARO-ALK7 –, die in die Mechanismen der Fettspeicherung eingreifen. ARO-INHBE soll im Laufe des Jahres in klinischen Studien beim Menschen untersucht werden, sowohl allein als auch in Kombination mit Tirzepatid, dem Wirkstoff in Zepbound und dem Diabetesmittel Mounjaro von Lilly.
Im Mai 2024 hat AstraZeneca zudem ein Kooperationsabkommen mit der Schweizer Start-up-Firma SixPeaks Bio geschlossen, das ein Volumen von bis zu 80 Millionen Dollar erreichen könnte. Ziel ist die Entwicklung eines Antikörpers, der die zellulären Rezeptoren von Activin blockiert, um während einer Adipositastherapie die Muskelmasse zu erhalten. Bestandteil der Vereinbarung ist auch eine exklusive Kaufoption für den britischen Pharmakonzern.