Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--In der Europapolitik tun sich vor der Bundestagswahl am 26. September zwischen den Parteien tiefe Gräben auf. Die meisten sind klare Unterstützer der Europäischen Union. Allerdings wollen Union und FDP wieder zur Einhaltung der Maastricht-Kriterien zurückkehren und malen das Schreckgespenst einer europäischen Schuldenunion an die Wand. SPD und Grüne hingegen wollen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verändern und machen sich für eine künftige EU-Fiskalunion stark, um die Investitionen zu stärken. Größter Knackpunkt dürfte in den Koalitionsgesprächen daher die Frage nach gemeinsamen europäischen Schulden werden. In den außenpolitischen Fragen gibt es Differenzen beim Umgang besonders mit Russland, wo es von den Grünen deutlich kritischere Positionen gibt als etwa von der SPD. Den meisten Parteien ist aber gemein, dass man gegenüber China selbstbewusster auftreten müsse, um im wirtschaftlichen Wettbewerb besser bestehen zu können.


1. CDU und CSU 

Klares Ziel der Union ist, dass die von den EU-Mitgliedsstaaten beim Corona-Hilfsfonds "Next Generation EU" vereinbarte gemeinsame Schuldenaufnahme befristet und einmalig bleibt. Eine Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakts lehnen sie klar ab. Die Fiskalregeln des Stabilitätspakts sollen zügig wieder in Kraft gesetzt und weiterentwickelt werden, ohne dass man die Regeln aufweicht. Auch sollen die Ermessensspielräume beim Defizitverfahren einschränken und das Prinzip der Konditionalität gestärkt werden. Die Unionsparteien fordern zudem konsequente Sanktionen bei Verstößen gegen die Stabilitätskriterien.

Wichtig für CDU und CSU ist außerdem die Verhinderung einer Schuldenunion, bei der Deutschland für die höher verschuldeten südeuropäischen Länder haften könnten. Auch soll die Haftung und Verantwortung der Mitgliedsstaaten in der Finanz- und Haushaltspolitik in einer Hand bleiben. Nötig sei eine bessere Vorbereitung auf Wirtschafts- und Finanzkrisen. Im Wahlprogramm sprechen sich die Unionsparteien für ein geordnetes Verfahren bis hin zu einem Insolvenzverfahren für Staaten aus.

Beim Thema Geldpolitik bekennt sich die Union zur Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Geld- und Finanzpolitik müssten getrennt bleiben und daher lehnt eine monetäre Staatsfinanzierung ab. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), die Bankenunion und die Kapitalmarktunion soll zudem unter Stabilitätsaspekten weiterentwickelt und vollendet werden.

Mit Blick auf China will die Union einen Kurs auf Augenhöhe verfolgen, bei dem es um fairen Wettbewerb gehen müsse. Auch sollte Chinas Machtwillen in enger Abstimmung mit den transatlantischen Partnern und anderen gleichgesinnten Demokratien "mit Stärke und Geschlossenheit" entgegentreten getreten werden. Russland solle hingegen "konstruktiv und entschlossen" begegnet werden, heißt es in dem Wahlprogramm. Die transatlantische Zusammenarbeit mit den USA als "wichtigster weltpolitischer Partner" soll vertieft werden. Dabei macht sich die Union für eine enge Abstimmung in der Klima-, Handels-, Wissenschafts- und Technologiepolitik stark.


2. SPD 

Beim Thema Europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt gibt es fundamentale Unterschiede zur Union. Das Regelsystem soll zum Nachhaltigkeitspakt weiterentwickelt werden. Dadurch soll eine Rückkehr zur Austeritätspolitik vermieden und mehr Investitionen angeregt werden. "Statt einer Rückkehr zur Kürzungspolitik der Vergangenheit bleiben wir bei der in der Corona-Krise begonnenen gemeinsamen Investitionspolitik Europas. Eine krisenfeste EU muss fiskalpolitisch handlungsfähig sein und sich zu einer echten Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialunion weiterentwickeln", heißt es im SPD Wahlprogramm.

Neben den gemeinsamen Ausgaben soll es auch gemeinsame Einnahmen geben. Als Grundlage für dauerhafte Finanzierung der EU sollen Mittel aus der Besteuerung digitaler Großkonzerne, eine CO2-Grenzabgabe sowie neue Einnahmen aus dem Emissionshandel herangezogen werden.

Europa muss nach Vorstellung der SPD den Dialog mit China über Kooperation und Wettbewerb geschlossen, konstruktiv und kritisch führen. Dabei müssten auch gravierende Menschenrechtsverletzungen angesprochen werden. Mit Blick auf Russland sei es von deutschen und europäischem Interesse, die Gespräche zur Sicherheits-, Klima- und Energiepolitik weiterzuführen, trotz aller Rückschläge, denn Frieden in Europa könne nur mit Russland gelingen. Mit den USA strebt die SPD eine Vertiefung der Beziehungen an.


3. Grüne 

Die Vorstellungen der Grünen liegen denen der SPD nahe. Auch sie fordern eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, um eine Rückkehr zur früheren Sparpolitik zu verhindern. Damit sollen "ein zu hoher Kürzungs- und Privatisierungsdruck verhindert (...) und Zukunftsinvestitionen in allen Mitgliedsländern weiter erhöht werden können", heißt es in dem Wahlprogramm.

Die Europäische Währungsunion soll zur Sozialunion weiter entwickelt, der EU-Haushalt deutlich erweitert und die Investitionen in Klimaschutz erhöht werden. Auch einen Zukunftsfonds soll es geben, aus dem sich aber nur die EU-Staaten bedienen dürfen, die gegen Steuerdumping und Steuerhinterziehung vorgehen wollen. Bei der Bankenunion fordern die Grünen, dass diese durch eine gemeinsame Einlagensicherung als Rückversicherung vollendet wird, damit jeder Euro überall gleich sicher sei.

Kritischer als Union und SPD äußern sich die Grünen zu China und Russland. Dem EU-China-Investitionsabkommen könne man in der gegenwärtigen Form nicht zustimmen, da es in den Bereichen Level Playing Field und Menschenrechte unzureichend sei. Russland hat sich nach Ansicht der Grünen "zunehmen in einen autoritären Staat gewandelt", daher müsse an den aktuellen Sanktionen festgehalten und diese bei Bedarf verschärft werden. Klar spricht sich die Umweltschutzpartei auch gegen die Gaspipeline Nord Stream 2 aus. Die transatlantische Partnerschaft mit den USA sehen die Grünen als zentralen Stützpfeiler der deutschen Außenpolitik, der jedoch erneuert werden müsse. Im Klimaschutz will man eine starke Partnerschaft mit den USA.


4. FDP 

Die FDP liegt bei Finanzfragen nahe an der Union. Die Freidemokraten wollen, dass der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder vollständig in Kraft tritt und befürworten die Verhängung von strengeren Sanktionen gegen Defizitsünder. Wie auch CDU und CSU ist die FDP gegen eine Schuldenunion und gemeinsame europäische Anleihen. In der Bankenregulierung soll die Privilegierung von Staatsanleihen schrittweise beendet und durch marktorientierte Ansätze ersetzt werden. Auch Staatsanleihen sollten nach den Vorstellungen der FDP risikoadäquat mit Eigenkapital unterlegt werden. Zudem sollten die Großkreditgrenze, die Klumpenrisiken in den Bankbilanzen vorbeugen soll, auf Staatsanleihen ausgedehnt werden.

Außerdem will die FDP ein Verfahren für geordnete "Staatsinsolvenzen" schaffen. Damit sollen private Gläubiger einzelner Staaten stärker in die Verantwortung genommen werden. Bei den wirtschaftlichen Beziehungen zu China plädiert die FDP für eine Weiterentwicklung der EU-China-Beziehungen. Allerdings könne das Ende vergangenen Jahres erzielte Investitionsabkommen erst ratifiziert werden, wenn es ergänzt werde, wie etwa bei der Frage von Chinas ungerechtfertigten Gegensanktionen gegen europäische Organisation und Personen. In Bezug auf die USA sehen sich die Freidemokraten als "überzeugte Transatlantiker", die sich für engere Handelsbeziehungen und einen transatlantischen Wirtschaftsraum stark machen. Auch stellt sich die FDP hinter die Verabschiedung des EU-Kanada-Abkommens CETA.


5. Linke 

Die Linken fordern eine Änderung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, damit eine "Investitionsoffensive ohne Handbremse" möglich wird. Explizit spricht sich die Linkspartei für die Ausgabe gemeinsamer europäischer Anleihen. Auch sei ein solidarisches Europa mit höheren Steuern für Reiche und Konzerne nötig. In Anbetracht des größten Einbruchs der Weltwirtschaft seit Jahrzehnten sei insgesamt ein Umfang von 1 bis 2 Billionen Euro für das europäische Investitions- und Ausgabenprogramm erforderlich.

Anders als die anderen Parteien fordert die Linke Schuldenschnitte und sinnvolle Investitionsprogramme für die ärmeren Regionen Europas. Außerdem ist die Partei dagegen, dass die Vergabe von Mitteln aus dem EU-Wiederaufbaufonds an Konditionen geknüpft wird. In der Außenpolitik lehnt die Linkspartei es ab, dass man in Russland und China Feinbilder sieht, wie dies die das transatlantische Verteidigungsbündnis Nato oder die EU täte.


 6. AfD 

Die AfD ist eine anti-europäische Partei. Sie will den Austritt aus der EU und aus der Eurozone, denn der "Euro ist gescheitert", heißt es in dem Wahlprogramm. Der EU attestiert die Partei eine monetäre Staatsfinanzierung und eine Transferunion zulasten künftiger deutscher Steuerzahler. Stattdessen plädiert die Partei für einen Bund souveräner Nationalstaaten. Die AfD wünscht sich engere wirtschaftliche Beziehungen zu Russland und lehnt die aktuellen Sanktionen der EU gegen Russland ab. Mit China soll es faire Beziehungen geben, dabei soll Deutschland eine "offensive Beteiligung" am chinesischen Projekt der "Neuen Seidenstraße" anstreben.

Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com

DJG/aat/cbr

(END) Dow Jones Newswires

September 23, 2021 06:00 ET (10:00 GMT)