Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte bei den Beratungen am 20. und 21. Januar beschließen, seine Geldpolitik nach dem im Dezember verabschiedeten umfangreichen Maßnahmenpaket unverändert zu lassen. Langweilig dürfte die anschließende Pressekonferenz mit Präsidentin Christine Lagarde trotzdem nicht werden, denn Journalisten werden sie nach den Fortschritten bei der Prüfung der geldpolitischen Strategie, nach der Einschätzung zum Ausblick und nicht zuletzt zu den Meinungsverschiedenheiten im Rat bei den Dezember-Beschlüssen befragen.

Auch der hohe Euro-Kurs dürfte wieder eine Rolle spielen. Die EZB veröffentlicht ihre geldpolitischen Beschlüsse am Donnerstag (13.45 Uhr), die Pressekonferenz mit Präsidentin Lagarde beginnt gegen 14.30 Uhr.

Der EZB-Rat hatte im Dezember ein Maßnahmepaket mit sechs Punkten umfassendes auf den Weg gebracht. Dessen wichtigste Punkte: Aufstockung des Pandemiekaufprogramms PEPP um 500 Milliarden Euro auf 1.850 Milliarden und eine Verlängerung bis März 2022. Zudem wurde das TLTRO3-Kreditprogramm verlängert und modifiziert. Die Leitzinsen ließ die EZB unverändert, und die sollen so lange auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben, bis sich die Inflation zur Zufriedenheit der EZB entwickelt. Und bis kurz vor der ersten Zinserhöhung sollen auch die Anleihekäufe im Rahmen des APP-Programms fortgeführt werden.

Die von Dow Jones Newswires befragten Analysten glauben nicht, dass das so bald der Fall sein wird. Sie rechnen damit, dass die Zinsen wenigstens bis zum Ende des dritten Quartals 2021 unverändert bleiben werden.


   Einigen Risiken habe sich seit Dezember verringert 

Seit Anfang Dezember hat sich allerdings einiges getan: Der Amtsübergang von US-Präsident Donald Trump auf seinen Nachfolger Joe Biden läuft bisher weitaus holpriger als befürchtet. Aber es ist nun klar, dass Biden über eine Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses verfügen und diese zur Verabschiedung eines weiteren großen Corona-Hilfspakets nutzen wird. EU und Großbritannien haben sich auf ein Nach-Brexit-Handelsabkommen geeinigt, und eine heftige Pandemiewelle hat längere und härtere Gegenmaßnahmen als zuvor absehbar nach sich gezogen.

Auch scheinen inzwischen mehrere Versionen des Corona-Virus zu zirkulieren, wobei nicht klar ist, wie wirksam die unterdessen genehmigten Impfstoffe gegen sie sind. Und: Deutschland als Europas größte Volkswirtschaft ist glimpflicher als erwartet durch das Corona-Jahr 2020 gekommen. Mit anderen Worten: Auf einigen Gebieten haben die Risiken nachgelassen, auf anderen haben sie zugenommen oder sind unverändert hoch.


   Laut Lagarde sind Dezember-Projektionen noch valide 

Was macht der EZB-Rat aus all dem? EZB-Präsidentin Lagarde hat schon zu erkennen gegeben, dass ihre Bilanz der vergangenen sechs Wochen trotz nach wie vor hoher Unsicherheit positiv ausfällt. "Unsere Projektionen von Dezember sind weiterhin ganz klar plausibel", sagte sie jüngst bei einer Konferenz und fügte hinzu: "Unsere Prognose beruht auf Lockdown-Maßnahmen bis zum Ende des ersten Quartals."

Besorgniserregend wäre nach ihrer Aussage, wenn die Länder diese Maßnahmen über März hinaus verlängern müssten, wenn bei Impfprogrammen Verzögerungen einträten oder wenn sie ineffektiv abliefen. "Aber so etwas können wir derzeit nicht vorhersagen", sagte die EZB-Präsidentin.

Dem Rat liegen am Donnerstag aktuelle Prognosen der Professional Forecasters zu Wachstum und Inflation vor. Die von Dow Jones Newswires befragten Experten erwarten laut aktueller Umfrage für 2021 und 2022 einen BIP-Anstieg von 4,0 (bisher: 4,7) und ebenfalls 4,0. Die Inflationsrate sehen sie bei 1,0 (1,0) und 1,2 Prozent. Für den Euro-Wechselkurs werden auf Sicht von drei, sechs und zwölf Monaten 1,22 (1,20), 1,23 (1,21) und 1,24 (1,22) US-Dollar prognostiziert und für die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen minus 0,50 (minus 0,50), minus 0,45 (minus 0,45) und minus 0,30 (minus 0,34) Prozent.


   EZB-Rat winkte Lane-Vorschläge dieses Mal nicht durch 

Unterdessen hat das Protokoll der Beratungen von Dezember zutage gebracht, dass der Rat einen Antrag von Chefvolkswirt Philip Lane ablehnte, das TLTRO-Kreditlimit von 50 auf 60 Prozent des anrechenbaren Kreditbestands zu erhöhen. Man einigte sich auf 55 Prozent. Reuters berichtete zudem, dass Lane ursprünglich eine Aufstockung des PEPP-Volumens um 750 Milliarden Euro wollte, aber nur 500 beantragte, nachdem sich im Vorfeld der Sitzung Widerstand abzeichnete. Zudem scheint die Aussage, dass das PEPP-Volumen von 1.850 Milliarden Euro kein Ziel-, sondern ein Maximalvolumen sei, eine Konzession an die Falken im Rat zu sein.

Lagarde dürfte auch hierzu Fragen gestellt bekommen. Thema dürfte außerdem der hohe Euro-Kurs sein. Zwar ist der von der EZB beobachtete nominale effektive Wechselkurs seit Anfang Dezember etwas gesunken, doch liegt er immer noch in der Nähe des 2010 erreichten Allzeithochs. Lagarde machte in oben genannter Konferenz deutlich, dass die EZB diese Entwicklung genau beobachtet.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

DJG/hab/smh

(END) Dow Jones Newswires

January 18, 2021 10:30 ET (15:30 GMT)