Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Dass die Lage so ernst ist wie wohl noch nie in der Corona-Krise, war den Gesichtern abzulesen. Als Angela Merkel, Michael Müller und Markus Söder am Abend nach fast achtstündigen Video-Beratungen vor die Presse traten, wirkten sie erschöpft, die Gesichtszüge angespannt. Man sah: Es waren Beratungen, die ans Eingemachte gegangen waren, weit hinausgehend über das "normale" Maß der Konferenzen der Bundeskanzlerin mit den Chefs und Chefinnen der Länder. Am Ende zeigte sich die Kanzlerin zwar zufrieden mit den Beschlüssen. Man muss aber hoffen, dass die Politiker nicht so langsam die Nerven verlieren.

Die Beschlüsse fielen am Ende zum Glück weniger halbherzig aus, als sich das offenbar manche aus dem Länderkreis gewünscht hatten. Im Vorfeld hatten Experten die Politiker relativ einhellig dazu gemahnt, jetzt einschneidende Maßnahmen zu ergreifen, und die wurden auch vereinbart: Verlängerung des Lockdowns bis mindestens 14. Februar, nur noch medizinische Masken in Geschäften und dem öffentlichen Nahverkehr, eine Pflicht zum Homeoffice, wo dies möglich ist.

Aber am Ende blieb auch viel Ärger. Manche mögliche Maßnahme wie die in Bayern geltende FFP-2-Maskenpflicht wurde abgeschwächt, der Zwang zum Homeoffice bis zum 15. März befristet. Zu fragen ist, warum, wenn anderen Betrieben, Unternehmern und Soloselbstständigen seit Monaten der Betrieb untersagt wird, und wenn Schülerinnen und Schüler vor dem heimischen Computer vielleicht gerade ein Stück ihrer Zukunftschancen verspielen.

Nicht von ungefähr war deshalb auch der Umgang mit den Kindern der umstrittenste Punkt der Beratungen. Schenkt man Berichten aus dem Inneren der Konferenz Glauben, dann ist es so weit gegangen, dass Merkel den Vorwurf zurückweisen musste, sie quäle indirekt Kinder und respektiere keine Arbeitnehmerrechte. "Wir haben lange gerungen um das, was im Bereich Kinder und Schule notwendig ist", sagte Merkel nur trocken dazu. Das fiel ihr leicht, denn sie hatte sich in diesem Punkt letztlich durchgesetzt. Zuvor hatten die Anwürfe in den Beratungen aber offenbar eine Unterbrechung erzwungen, in der die Drähte glühten.

Wie verfahren die Lage aber wohl tatsächlich war, offenbarte ein gänzlich ungewöhnliches Kompliment von Bayerns Ministerpräsidenten Söder an die Adresse Merkels - dafür, dass die nüchterne Kanzlerin in dieser Frage "in die Bütt gestiegen" sei. Gut möglich, dass allen derzeit ein wenig mehr von dieser Art von Humor gut täte. Vorwürfe der kolportierten Art hingegen sind das Letzte, was Deutschland in dieser Situation gebrauchen kann.

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January 19, 2021 17:18 ET (22:18 GMT)