Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Die Unionsparteien ziehen mit einem Programm in den Wahlkampf, das beim Wähler Fragezeichen bei der Finanzierung ihrer Wahlversprechen hinterlässt. Nach monatelangem Streit um den Vorsitz der CDU und um den gemeinsamen Kanzlerkandidaten haben CDU und CSU am Montag als letzte Parteien ihr gemeinsames Wahlprogramm für die Bundestagwahl präsentiert. Der Zungenschlag ist deutlich anders als bei SPD, Grünen und Linken: CDU und CSU setzen auf teure Steuersenkungen und Eigenverantwortung. Das alles soll bei stabilen Haushalten vonstattengehen.

Bei der Finanzierung setzt die Union auf das Prinzip Hoffnung - Wirtschaftswachstum und der daraus resultierende Steuerzuwachs soll die Kosten für die Wahlgeschenke wettmachen. Bei der SPD, den Grünen und den Linken werden hingegen Steuererhöhungen, hohe Schulden und eine starke Rolle des Staats in den Vordergrund gestellt. Besonders deutlich wird die Abgrenzung zu den Grünen. Während die Union an der Schuldenbremse festhält, wollen die Grüne diese verändern um dadurch schuldenfinanzierte Investitionen zu finanzieren.


Laschet hat Versprechen "seriös" durchrechnen lassen 

Der Kanzlerkandidat der Unionsparteien Armin Laschet wollte sich bei der Vorstellung des Wahlprogramms auf keine Zahl festnageln lassen, wie teuer das Sammelsurium an Wahlkampfgeschenken am Ende kosten soll. Er beteuerte, dass es "seriös durchgerechnet" sei und realistisch umgesetzt werden könne. CSU-Chef Markus Söder will nach der Bundestagswahl einen Kassensturz. Denn dem aktuellen Kassenwart der Bundesregierung - SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz - könne man mit seiner aktuellen Haushaltsplanung nicht ganz trauen. Für die Wähler ist es allerdings eine ungewöhnliche Situation, dass ausgerechnet die in Finanzfragen auf die schwarze Null im Bundeshaushalt eingeschworene Union hier wagemutiger und risikofreundlicher ist als sonst üblich. Das Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat errechnet, dass die Wahlversprechen der Union über 100 Milliarden Euro kosten würden. Da die Gegenfinanzierung fehle und Steuererhöhungen ausgeschlossen würden, hält IW-Chef Michael Hüther die finanzstarken Versprechen denn auch für "unrealistisch".


Mühlen der Bürokratie Tempo machen 

Laschets Versprechen zum Bürokratieabbau ist dagegen eindeutig positiv zu bewerten. Nicht nur viele Unternehmen stöhnen wegen der stetig anwachsenden Flut an Vorschriften. Laschet konnte bei der Vorstellung des Wahlprogramms mit der Absurdität punkten, dass im Berliner Stadtteil Marzahn eine Ampel 25 Jahre nach der ersten Planung eingeweiht werden soll. Währenddessen hätten sich Firmen wie Amazon, Google und Tesla zu Tech-Giganten entwickelt, so Laschet.

Das Versprechen der Union, ein umfangreiches "Entfesselungspaket" aufzulegen und die Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich zu beschleunigen, dürfte daher auch vielen deutschen Firmen aus der Seele sprechen. Denn der globale Wettbewerb nimmt wenig Rücksicht auf die langsamen Mühlen der deutschen Bürokratie.


Offene Fragen bei der Energiewende 

Ein Knackpunkt im Wahlprogramm sind jedoch die Aussagen zur Klimapolitik. Laschet will Deutschland zum "klimaneutralen Industrieland mit guten und sicheren Arbeitsplätzen" machen. Aber im Wahlprogramm fehlen konkrete Aussagen zu den Ausbauzielen der Ökostromanlagen, die Deutschland braucht, um neben den Atomkraftwerken auch die Stromgewinnung aus Kohle und schließlich Gas zu beenden. Wie man dahin kommen will, dass Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral ist und nur so viele Treibhausgasemissionen ausstößt, wie im Gegenzug wieder eingefangen werden, das bleibt auch nach der Lektüre des 140 Seiten umfassenden Wahlprogramms noch immer ein Rätsel. Auch fehlt ein Ziel für den CO2-Preis, mit dem man den Ausstoß des treibhausschädlichen Kohlendioxids unattraktiver machen will.


Gegensätze versöhnen 

In den gut drei Monaten bis zu den Bundestagswahlen Ende September wird es daher wohl mehr denn je um eine Richtungswahl gehen: Das Vertrauen auf den Markt und die Eigenverantwortung mit minimaler Steuerung durch den Staat gegen eine Politik, die die Herausforderungen des Klimawandels mit einem weit stärkeren staatlichen Eingreifen beantworten will. Wenn die Union weiter an Unterstützung gewinnt und die FDP in Umfragen noch stärker zulegt, könnte es auf eine Koalition hinauslaufen, bei der beide Partner dem Schutz der Wirtschaft weitaus mehr Gewicht einräumen wollen als der Energiewende.

Sollte die Union aber auf eine Koalition mit den Grünen angewiesen sein, wird es interessante Koalitionsverhandlungen geben. Aus Unionsreihen ist aktuell zu hören, dass die Begeisterung für die Grünen deutlich geringer ist als noch bei den vergangenen Koalitionsgesprächen vor knapp vier Jahren, bei denen die Jamaikakoalition aufgrund des Rückzugs der FDP gescheitert war. Denn der von den Grünen anvisiert starke Eingriff des Staates in die Wirtschaft und ihr 500-Milliarden-Investitionsprogramm für die kommenden 10 Jahre samt Aufweichung der Schuldenbremse treibt den konservativen Unionspolitikern Schweiß auf die Stirn.

Die andere Alternative - eine Neuauflage der großen Koalition mit Beteiligung der SPD - erscheint wenig wahrscheinlich. Das hat die SPD immer wieder deutlich gemacht. Eher unwahrscheinlich ist derzeit auch, dass die Wähler einer Koalition aus Grünen, SPD und den Linken den Vorzug geben wollten. Nach der Wahl am 26. September dürften daher spannende Wochen anstehen, in denen wohl scheinbar unversöhnliche Politikansätze von Union und Grünen zusammengebracht werden müssen.

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June 21, 2021 11:12 ET (15:12 GMT)