Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Bundesfinanzminister Christian Lindner gab sich zufrieden, als er Presse und Öffentlichkeit die neuen Zahlen für den Bundeshaushalt im kommenden Jahr präsentierte. Das also ist der Plan, mit dem es gelingen soll, 2023 wieder die Schuldenbremse einzuhalten. Lindner hat dafür nach eigenen Angaben "sehr intensive Wochen" mit seinen Kabinettskollegen ver- und eine "enorme Kraftanstrengung" vollbracht. Am Ende setzte er im Kabinett den Anspruch durch, nach drei Jahren des finanzpolitischen Ausnahmezustands wieder innerhalb der Schuldenbremse des Grundgesetzes zu wirtschaften. Doch sein Bekenntnis zu diesem Plan könnte am Ende doch noch wackeln.

Um die Neuverschuldung von in diesem Jahr geplanten 138,9 Milliarden Euro auf 17,2 Milliarden im kommenden Jahr herunterzuschrauben, hat der Finanzminister nun "Konsolidierung" als Leitmotiv ausgegeben. In den zähen Gesprächen, für die die Verabschiedung des Budgetentwurfs im Kabinett extra um anderthalb Wochen verschoben werden musste, und in deren Zuge der Finanzminister nach eigenen Angaben allein 16 Chefgespräche mit seinen Ministerkollegen führte, hat Lindner das neue Zahlenwerk zusammengezimmert. Es soll nun nach der Coronavirus-Pandemie den Bundesetat wieder in die vom Grundgesetz eigentlich vorgeschriebenen Schranken zurückführen.

Dafür kann Lindner vor allem davon profitieren, dass coronabedingte Ausgaben in deutlichem Umfang wegfallen - aber er streicht seinen Kollegen auch Wünsche und Stellen zusammen. In 7 der Einzelpläne müssen die übrigen Kabinettsmitglieder nun mit weniger Ausgaben auskommen als im vergangenen Jahr, vergaß der Finanzminister bei seinem Presseauftritt nicht zu erwähnen. Und durch eine pauschale Stelleneinsparung in Höhe von 1,5 Prozent in allen Einzelplänen sollen nach seinen Worten 3.000 Stellen beim Bund wegfallen.


   Wird das reichen? 

Außerdem haben Lindners Budgetexperten noch eine Marge für konjunkturelle Schwankungen und mögliche Entlastungen in den Budgetplan eingebaut, die sich in Form einer so genannten globalen Mindereinnahme insgesamt auf 9,1 Milliarden Euro summiert. Weitere 5 Milliarden sind unmittelbar zur Krisenbekämpfung vorgesehen. Doch die große Frage ist, wird das reichen, wenn sich die Entwicklung mit Ukraine-Krieg und Energie-Krise und Inflation zuspitzt? Vieles deutet darauf hin, dass die Antwort auf diese Frage "nein" lautet. Lindner könnte sich doch noch verrechnet haben.

Dass die Opposition dem Finanzminister in diesem Zusammenhang vorhält, er habe einen "Schönwetterhaushalt" aufgestellt und betreibe "ökonomisches Harakiri", wird Lindner dabei noch am wenigsten den Schlaf rauben. Zu denken geben wird dem FDP-Vorsitzenden aber die Reaktion aus seiner eigenen Ampel-Koalition. Denn die Budgetexperten der beiden übrigen Koalitionspartner im Bundestag mahnen schon in verdächtiger Einigkeit, angesichts großer Unsicherheiten werde dies möglicherweise nicht das letzte Wort gewesen sein.

Bis der Bundeshaushalt letztlich vom Bundestag beschlossen wird, wird es ihre Aufgabe sein, die Situation stetig neu zu bewerten und im Haushaltsausschuss des Parlaments zusammen mit Lindners FDP letztlich über das Zahlenwerk zu entscheiden. Neue Schulden im Falle einer Zuspitzung der Ukraine-Krise haben sie dabei nicht ausgeschlossen - und damit auch nicht eine mögliche erneute Ausnahme von der Schuldenbremse. Kommt es so, wäre Lindners Budgetentwurf nur der erste Aufschlag in einem Spiel mit zu vielen Unbekannten gewesen.

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July 01, 2022 12:44 ET (16:44 GMT)