Von Jinjoo Lee

NEW YORK (Dow Jones)--Amazons Marktplatz-Modell macht gerade Schule. Diese Kanäle, die es Drittanbietern ermöglichen, Artikel auf der Website eines etablierten Einzelhändlers aufzulisten, zu verkaufen und zu versenden, haben zurzeit Hochkonjunktur. Die Lebensmittelkette Kroger hat einen solchen Marktplatz, ebenso wie die Bekleidungshersteller Express, Lands' End, J.Crew und Urban Outfitters. Hudson's Bay, ein kanadisches Kaufhaus, hat Anfang des Jahres seinen Online-Marktplatz gestartet. Macy's ist das jüngste Unternehmen, das auf den Zug aufgesprungen ist und angekündigt hat, seinen Marktplatz in der zweiten Jahreshälfte 2022 zu eröffnen.

Der unmittelbare wirtschaftliche Reiz liegt auf der Hand. Es handelt sich um eine relativ kostengünstige Möglichkeit mit hohen Gewinnspannen. Die Vorabinvestitionen des Einzelhändlers sind gering, da er keinen Bestand kaufen und vorhalten muss. Stattdessen listet er die Artikel von Drittanbietern auf seiner Website auf und erhält einen Anteil - in der Regel 15 Prozent - an den Einnahmen des Verkäufers. Bei einigen etablierten Marktplätzen, die ihren Verkäufern Fulfillment-Services und Werbung anbieten, könne dieser Anteil sogar bis zu 40 Prozent betragen, so Direktor Edward Yruma von Keybanc Capital Markets.


Perfektes Timing für das Marktplatz-Modell 

Auch das Timing ergibt Sinn, denn die Pandemie hat den Online-Verkäufen einen kräftigen Schub gegeben. Walmart, das seinen Marktplatz im Jahr 2009 eröffnete, konnte nach Schätzungen von Marketplace Pulse das Bruttowarenvolumen - den Gesamtumsatz über seine Plattform - im Jahr 2020 verdoppeln. Vor der Pandemie lag das Wachstum bei eher gedämpften 35 Prozent.

Einzelhändler haben ihre eigenen Gründe, diesen Ansatz zu verfolgen, auch um neue Kategorien einzuführen. Kroger zum Beispiel nutzt eine Marktplatz-Plattform, um Waren von Bed Bath & Beyond zu verkaufen. Urban Outfitters nutzt eine solche Plattform, um Secondhand-Kleidung zu verkaufen. In einigen Fällen kann das Marktplatz-Modell Einzelhändlern helfen, wählerische Verkäufer zu umgehen. Hudson's Bay zum Beispiel komme nicht an die neuen Louis-Vuitton-Taschen heran, die die Kunden wollten, könne sie aber über seinen Wiederverkaufsmarktplatz anbieten, sagt Adrien Nussenbaum, Mitbegründer und Mitgeschäftsführer von Mirakl.

Wenn die Idee allerdings zu schön klingt, um wahr zu sein, ist sie es vielleicht auch. Für Einzelhändler gibt es auch Risiken. Die Verwässerung der Marke ist solch ein Risiko, insbesondere bei Bekleidung. Wenn der Kunde schlechte Erfahrungen mit dem Drittanbieter macht - sei es in Bezug auf die Qualität oder die Versandgeschwindigkeit - kann dies die Wahrnehmung des Einzelhändlers beeinträchtigen. Die neueren Marktplätze scheinen zu versuchen, solche Risiken zu vermeiden, indem sie bei den Verkäufern wählerischer sind.


Manchen Einzelhändlern fehlt das Gespür für den Markt 

Digital-Vertriebschef Matt Baer von Macy's erklärte, dass das Kaufhaus die Marktplatz-Plattform nutzen werde, um "neue Marken und Kategorien zu testen" und "auf Trends in Echtzeit zu reagieren". Das hat seine Vorzüge, aber es gibt auch zwei vorsichtige Schlussfolgerungen. Erstens spricht die Tatsache, dass diese Einzelhändler Marktplätze benötigen, um Trends zu entdecken, nicht gerade für ihr Gespür für den Markt. So knickte J.Crew, das 2018 an den Start gegangen war, im vergangenen Jahr unter der Pandemie ein und meldete Insolvenz an. In den fünf Jahren vor Covid-19 verzeichneten sowohl Express als auch Lands' End einen durchschnittlichen jährlichen Umsatzrückgang von 1,4 Prozent, während die Wachstumsrate von Urban Outfitters im gleichen Zeitraum unverändert blieb. Macy's hat sich in diesem Jahr im Vergleich zu einigen seiner Kaufhaus-Konkurrenten besser erholt, befindet sich aber immer noch in einer Umstellungsphase.

Ein weiterer Grund zur Vorsicht besteht darin, dass sich das Wissen über die Produkte eines Drittanbieters als nachteilig erweisen könnte. So ist Amazon in die Kritik geraten, da es angeblich Daten über unabhängige Verkäufer verwendet hat, um konkurrierende Produkte zu entwickeln. Das heißt nicht, dass andere Einzelhändler solche Maßnahmen ergreifen würden, aber es könnte zu Komplikationen kommen, selbst wenn es nur den Anschein eines Konflikts gibt.

Laut Juozas Kaziukenas, Gründer von Marketplace Pulse, versuchen viele Einzelhändler seit über einem Jahrzehnt, den E-Commerce mit Hilfe von Online-Marktplätzen wiederzubeleben - mit sehr gemischtem Erfolg. Die neuen Einzelhändler, die in dieses Modell einsteigen, hoffen, das Eisen zu schmieden, solange es noch heiß ist. Diejenigen, die ihren eigenen Markt nicht genau kennen, könnten am Ende jedoch gebrannte Kinder sein.

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December 14, 2021 09:38 ET (14:38 GMT)