Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Der Bundesrechnungshof hat Fälle kritisiert, in denen die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes nach dem Urteil der Behörde "nicht zielgerichtet, ineffizient und wirkungsschwach" war.

"Die finanziellen Handlungsspielräume des Bundes schrumpfen immer weiter. Es kommt künftig mehr denn je darauf an, dass der Bund mit seinem Geld ordentlich haushaltet", sagte Rechnungshof-Präsident Kay Scheller zu den "Bemerkungen 2022". Der Hauptband umfasst 20 Prüfungsergebnisse, die laut Rechnungshof in den kommenden Monaten vom Bundestag beraten werden.

Darunter stechen 6 Fälle besonders hervor:


1. Fördermöglichkeiten zur Digitalisierung werden verlost 

Bei dem 500 Millionen-Euro-Programm "Digital jetzt" verlost das Bundeswirtschaftsministerium Förderungen zur Digitalisierung von Unternehmen, statt sie anhand sinnvoller Kriterien auszurichten. Die Unternehmen bestimme das Ministerium "damit nach dem Zufallsprinzip", monieren die Rechnungsprüfer. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen und die Rentabilität der Investition spielten bei den Förderentscheidungen praktisch keine Rolle. Eine Verlosung könne dazu führen, dass Unternehmen Investitionen verschieben, weil sie auf einen positiven Losentscheid warten. Das würde Digitalisierungsmaßnahmen sogar verzögern. Der Bundesrechnungshof ging deshalb davon aus, dass das Ministerium die Fördergelder wegen hoher Mitnahmeeffekte "weitgehend wirkungslos" ausgibt. "Es muss das Losverfahren unverzüglich beenden und die Zielgenauigkeit verbessern."


2. Handwerkliche Mängel bei Grundrente 

Die unbürokratische Umsetzung der Grundrente hält der Bundesrechnungshof "verwaltungsseitig für gescheitert". Ihre Einführung sei für die Deutsche Rentenversicherung ein organisatorischer Kraftakt mit immensen Verwaltungskosten. Schon im Gesetzgebungsverfahren hätten Fachleute vor überbordender Bürokratie und hohen Verwaltungskosten gewarnt. Eine überschlägige Bestandsaufnahme bestätige dieses Bild: Den 1,3 Milliarden Euro für Leistungen stünden im ersten Jahr fast 0,4 Milliarden Verwaltungskosten gegenüber - ein Verwaltungskostenanteil von 31 Prozent, obwohl die Rentenversicherung normalerweise mit 1,3 Prozent auskomme. Für die Folgejahre rechne das Bundesarbeitsministerium immer noch mit jährlich 0,2 Milliarden Euro. Es müsse dringend nachsteuern und bei der Evaluierung des Grundrentengesetzes vor allem die hohen Verwaltungskosten in den Blick nehmen.


3. Mittel aus Konjunkturpaket für Bundeswehr zweckentfremdet 

Anstatt Investitionen vorzuziehen und damit kurzfristige konjunkturelle Impulse zu setzen, zahlte das Bundesverteidigungsministerium laut den Rechnungsprüfern mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket Mieten, Pachten und die Bewachung von Liegenschaften. Mit dem Geld habe der Bund eigentlich die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie bewältigen wollen. Auf von dem Ministerium gemeldete 15 Vorhaben entfiel laut den Angaben ein Investitionsvolumen von 3,2 Milliarden Euro. Der Bundesrechnungshof prüfte die Mittelverwendung bei zwei dieser Vorhaben. Von den 200 Millionen Euro für "Energetische Sanierung Liegenschaften" und "Digitale Bestandserfassung Liegenschaften" habe das Verteidigungsministerium demnach "drei Viertel zweckwidrig für Mieten, Pachten und Bewachung" ausgegeben und so größtenteils das Ziel des Konjunkturpaketes verfehlt. "Konjunkturelle Impulse setzte es mit diesen Ausgaben nicht", kritisierte die Behörde. "Damit missachtete es den Willen des Gesetzgebers."


4. Verzögerte Gebührenerhebung bei Eisenbahnen 

Das Bundesverkehrsministerium habe über Jahre keine rechtliche Grundlage geschaffen, um Aufsichtsgebühren von Eisenbahnunternehmen zu erheben. "Die Kosten dieser Aufgabe musste der Steuerzahler tragen und nicht die Eisenbahnen als Veranlasser", bemerken die Rechnungsprüfer. Seit 2013 sei das Eisenbahn-Bundesamt für die Überwachung des Sicherheitsmanagements der Eisenbahnen zuständig. Für diese Leistung habe es keine Gebühren erhoben, da das Ministerium trotz Aufforderung des Bundesrechnungshofes keine Rechtsgrundlage dafür geschaffen hatte. Dabei sei die Verwaltung verpflichtet, Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben. Erst im Juli 2022 habe das Verkehrsministerium die rechtlichen Grundlagen für die Erhebung geschaffen. Dem Bund seien "dadurch mögliche Einnahmen in Millionenhöhe entgangen".


5. Haftungsrisiken aus Darlehen und Garantien der EU 

Die Bundesregierung hat es nach dem Urteil der Rechnungsprüfer versäumt, die Haftungsrisiken zu ermitteln, die aus Darlehen und Garantien der EU erwachsen. Daher könne sie für diese Risiken nicht vorsorgen und das Parlament nicht sachgerecht unterrichten. Die EU weite ihre Kreditaufnahme über Anleihen und Garantien seit Jahren aus - auf inzwischen mehr als 365 Milliarden Euro. Mit steigender Tendenz, denn 2023 könnten es schon 585 Milliarden sein. Für Zahlungsausfälle hafte die EU über ihren Haushalt, reiche das nicht aus, müssten die Mitgliedstaaten zusätzliche Beiträge leisten. Auf Deutschland kämen bei einem Totalausfall über mehrere Jahre verteilt bis zu 140 Milliarden Euro zu. Der Bundesrechnungshof erwarte daher, "dass die Bundesregierung systematisch im Blick behält, ob und inwieweit EU-Verbindlichkeiten auf den Bundeshaushalt durchschlagen können".


6. Überholte Vergünstigungen bei der Kraftfahrzeugsteuer 

Weil das Bundesfinanzministerium den Abbau nachweislich ineffizienter oder überholter Steuervergünstigungen bei der Kraftfahrzeugsteuer nicht in Angriff nehme, ergäben sich jährliche Mindereinnahmen von über 1 Milliarde Euro. Aktuell gelten laut den Rechnungsprüfern Vergünstigungen für 10 Prozent aller Fahrzeuge. Eine Arbeitsgruppe des Ministeriums habe bereits 2009 festgestellt, dass mehrere Vergünstigungen missbrauchsanfällig und nicht kontrollierbar seien. Teilweise sei das ursprüngliche gesetzgeberische Ziel längst erreicht worden. Ein von dem Ministerium 2017 beauftragtes Gutachten habe dieses Ergebnis bestätigt und zudem auf eine fehlende Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit der Regelungen hingewiesen. Das Finanzministerium müsse "die Initiative ergreifen, um überholte und nicht mehr zielführende Regelungen abzubauen und Dauerförderungen zu beenden".

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December 06, 2022 08:36 ET (13:36 GMT)