Die Kosten für Rückflüge der im Urlaub von der Pleite überraschten Touristen und die Entschädigungen für ausgefallene Reisen summieren sich auf 347 Millionen Euro, wie der Versicherungskonzern Zurich am Mittwoch in Köln mitteilte. Die Versicherung, die Veranstalter in Deutschland für solche Fälle abschließen müssen, ist aber auf 110 Millionen Euro gedeckelt. Der Bund werde den Betrag übernehmen, der den Kunden nicht ersetzt werde. "Wir wollen das Vertrauen dieser Menschen nicht enttäuschen", sagte Verbraucherschutzministerin Christine Lambrecht in Berlin. "Sie sollen nicht die Leidtragenden dieser unvorhergesehenen Situation und der unklaren Rechtslage sein."

Ziel der Regierung ist es, damit eine "erhebliche Prozesslawine" zu verhindern und die Schäden für die Steuerzahler so gering wie möglich zu halten. Um die Frage, wer am Ende wie viel zahlen muss, zeichnet sich ein Streit zwischen Zurich und dem Bund ab.

Im Sog der Pleite des britischen Mutterkonzerns war auch Thomas Cook in Deutschland in den Abwärtsstrudel geraten und meldete Ende September selbst Insolvenz an. 140.000 Reisende, die gerade unterwegs waren, wurden mit Hilfe von Zurich nach Hause zurückgebracht. Das Unternehmen habe dafür 60 Millionen Euro ausgegeben, hieß es in der Mitteilung. Weitere 210.000 Touristen, die ihre Reisen bereits angezahlt hatten, meldeten Forderungen bei dem Versicherer an - noch einmal 287 Millionen Euro. Thomas Cook hatte nach und nach alle bereits gebuchten Reisen storniert. Zurich will ihnen 17,5 Prozent des Schadens ersetzen. "Wir werden in den nächsten Tagen mit der Regulierung entsprechend der Quote beginnen", sagte Horst Nussbaumer aus dem Vorstand von Zurich Deutschland. Das könne aber einige Wochen dauern.

Doch das ist der Bundesregierung zu wenig. Lambrecht sagte, nach ihrer Auffassung dürfe der Versicherer die Rückholkosten nicht in die 110 Millionen Euro einrechnen - dann müsste der Bund nur für 62 Prozent der Ausfälle einstehen. "Das entspricht nicht unserer Rechtsauffassung", sagte ein Zurich-Sprecher. Dem Gesetz zufolge seien die Rückführungskosten in dem gedeckelten Betrag enthalten.

"JETZT MÜSSEN ALLE STEUERZAHLER HAFTEN"

"Der vorliegende Schadenfall zeigt, dass die von Thomas Cook eingekaufte Haftungssumme leider bei weitem nicht ausreicht, um die Ersatzansprüche aller anspruchsberechtigten Kunden vollständig zu befriedigen", sagte Zurich-Vorstand Nussbaumer. Die Opposition warf der Regierung eine Mitschuld vor. "Die große Koalition hat eine effektive Kundengeldabsicherung seit 2017 fahrlässig verschleppt", sagte der FDP-Tourismus-Experte Marcel Klinge. "Für diese Inkompetenz müssen jetzt alle Steuerzahler haften." Die Grünen sprachen von einem Schuldeingeständnis der Regierung. Mit der begrenzten Haftung habe sie den Konzernen niedrigere Versicherungsprämien beschert. Jetzt korrigiere sie den Fehler mit Steuergeldern in dreistelliger Millionenhöhe.

Ministerin Lambrecht widersprach dem Vorwurf, der Bund habe damit eine EU-Richtlinie zum Reiserecht unzureichend umgesetzt. Vielmehr sei berücksichtigt worden, dass es früher keine Schäden über 30 Millionen Euro gegeben habe. Die gesetzliche Obergrenze sei dann deutlich höher angesetzt worden. "Deshalb war es auch durchaus eine vernünftige Umsetzung der Reiserichtlinie", sagte die SPD-Politikerin. Die Bundesregierung arbeite mit Hochdruck daran, den Insolvenzschutz in Abstimmung mit der Reisebranche und Versicherern neu zu regeln. Externe Berater sollen Branchenkreisen zufolge Empfehlungen vorlegen, die Anfang 2020 in einen Gesetzentwurf münden sollen. Lambrecht kündigte an, man werde im Frühjahr einen Vorschlag vorlegen.

Der Tourismusverband BTW bedankte sich bei der Regierung für "diese unbürokratische und verbraucherfreundliche Lösung". Der Reiseverband DRV, der die Interessen der Pauschalanbieter vertritt, sprach von einer großen Erleichterung für die Kunden. "Klar ist, dass eine verbesserte Absicherung nicht zum Nulltarif zu haben ist", sagte DRV-Präsident Norbert Fiebig. "Ein künftiges Modell muss Kundengelder absichern und eben auch für die Reiseveranstalter wirtschaftlich tragbar sein."

Die Verbraucherschützer fordern, dass sich eine künftige Haftungsgrenze am Branchenprimus TUI orientiert. "Der größte Anbieter muss abgesichert sein", sagte Felix Methmann, Experte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV), der Nachrichtenagentur Reuters. Nach einer Faustformel seien rund ein Fünftel des Umsatzes Anzahlungen. Demnach müsse sich die maximale Haftung künftig etwa auf eine Milliarde Euro belaufen. TUI setzte in Deutschland zuletzt rund fünf Milliarden Euro um.

Die Versicherungsbranche plädierte für ein mehrstufiges System, bei dem Firmen je nach Umsatz Versicherungsschutz einkaufen könnten. Versicherer sollten laut dem Branchenverband GDV bei einem Schadenfall nicht zum "Ersatz-Reiseveranstalter" werden und selbst den Rücktransport organisieren müssen.