ASCHHEIM (dpa-AFX) - Der Zahlungsdienstleister Wirecard kann weiter auf den Boom beim Online-Shopping zählen und erhöht zum zweiten Mal in diesem Jahr seine Prognose. Allerdings legte das Neukundenwachstum nicht mehr ganz so rasant zu wie zuletzt. Vorstandschef Markus Braun ist dennoch zuversichtlich, auch über das laufende Jahr hinaus. Denn das Wachstum lief auch im zweiten Quartal wieder wie am Schnürchen, wie Wirecard am Mittwoch in Aschheim bei München mitteilte.

Die Reaktion am Aktienmarkt fiel aber verhalten aus. Das im deutschen Leitindex Dax notierte Papier lag nach einem starken Vortag mit 0,8 Prozent im Minus und damit schwächer als der Gesamtmarkt. Analysten hatten für das operative Ergebnis in diesem Jahr und den ebenfalls erhöhten Zielen für das kommende Jahr ohnehin schon grob das auf dem Zettel, was Wirecard nun als offizielle Ziele ausgab, wie Händler anmerkten.

Beim Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) geht Braun jetzt in diesem Jahr von einem Wert von 765 bis 815 Millionen Euro aus. Bisher stand mit jeweils fünf Millionen weniger nicht ganz so viel auf dem Plan. Das Management blicke "äußerst optimistisch in das zweite Halbjahr", sagte Braun.

Auch für das kommende Jahr zeigt sich das Unternehmen nun zuversichtlicher, der Umsatz soll auf mehr als 3,2 Milliarden Euro klettern. Bisher lag die Latte nur bei mehr als 3 Milliarden. Gleichzeitig will Wirecard dann weiter eine Marge beim operativen Ergebnis zwischen 30 und 35 Prozent erreichen.

Im zweiten Quartal verbuchte Wirecard ein Umsatzplus von gut 37 Prozent auf 643 Millionen Euro, das operative Ergebnis stieg um knapp 36 Prozent auf 184 Millionen Euro. Unter dem Strich stand mit 131 Millionen Euro auch dank geringerer Steuern ein Gewinnzuwachs von fast 57 Prozent.

Goldman-Sachs-Analyst Mohammed Moawalla bezeichnete die Ergebnisse als stark. Dabei verwies er insbesondere darauf, dass die drei Monate bis Ende Juni das zweite Quartal in Folge mit einem organischen Wachstum von mehr als 30 Prozent gewesen seien. Im ersten Halbjahr wuchs das auf der Wirecard-Plattform abgewickelte Transaktionsvolumen auch ohne Zukäufe um knapp ein Drittel auf rund 75 Milliarden Euro, Umsatz und operatives Ergebnis aus eigener Kraft sogar schneller als um ein Drittel.

Wirecard habe mit den Zahlen unter Beweis gestellt, dass die Beschleunigung beim Wachstum des operativen Gewinns im Vorjahr keine Eintagsfliege gewesen sei, schrieb Baader-Bank-Experte Knut Woller.

Bei einer von Analysten vielbeachteten Kennzahl konnten die Aschheimer im ersten Halbjahr aber keine so großen Sprünge machen wie zuletzt. Das potenzielle Transaktionsvolumen neu hinzugewonnener Kunden betrug 34,6 Milliarden Euro, lediglich 15,3 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die Kennziffer ist ein Indikator dafür, wie viele Zahlungen in Zukunft zusätzlich über Wirecard abgewickelt werden könnten. In den vergangenen Halbjahren hatte das Unternehmen hier einen deutlich höheren prozentualen Zuwachs vermeldet.

Das langsamere Wachstum bei dem möglichen Transaktionsvolumen aus Neukundenabschlüssen sei unter anderem auf die hohen Vorjahreswerte zurückzuführen, sagte eine Sprecherin. Im ersten Halbjahr sei absolut gesehen ein neuer Rekord erreicht worden. Zudem habe Wirecard noch in keinem Halbjahr so viele großvolumige Abschlüsse getätigt.

Laut früheren Angaben von Braun werden erfahrungsgemäß rund zwei Drittel des hinzugekommenen potenziellen Transaktionsvolumens von Neukunden dann auch tatsächlich über Wirecard abgewickelt. Zuletzt gewann Wirecard etwa die Abwicklung von Zahlungen über Kreditkarten- und internationale Debitkarten in den deutschen Aldi-Filialen. Zudem konnte Wirecard mit dem Gebrauchtwagenhändler Auto1 eine erste Kooperation mit einer Beteiligung des Tech-Investors Softbank vermelden. Softbank will im September mit 900 Millionen Euro über eine Wandelanleihe bei Wirecard einsteigen.

Ende Januar war Wirecard in große Schwierigkeiten geraten - was aber vor allem damit zu tun hatte, dass sich Anleger nach Berichten der "Financial Times" wieder Fragen rund um das Geschäftsgebaren der Firma stellten. Konnte Wirecard bisher immer alle Verdächtigungen abschütteln, musste der Konzern diesmal zumindest einräumen, dass es "Qualitätsmängel" in der Buchhaltung gab und dass einige Buchungen korrigiert werden mussten. Möglicherweise haben sich auch einige Mitarbeiter in Singapur strafbar gemacht.

Betrug und systematische Luftbuchungen sieht das Unternehmen aber als ausgeschlossen an. Bei mehreren Behörden laufen noch Ermittlungen zu dem Fall. Sowohl die Münchner Staatsanwaltschaft als auch die Finanzaufsicht Bafin gehen zudem davon aus, dass es eine gezielte illegale Attacke von Börsenspekulanten gab. Der renommierten Wirtschaftszeitung "FT" wirft Wirecard Gemauschel mit sogenannten Short-Sellern vor, die mit fallenden Aktienkursen Geld verdienen.

An der Börse war die Aktie zwischenzeitlich bis auf 86 Euro abgestürzt. Inzwischen kostet sie mit rund 150 Euro wieder fast so viel wie vor den "FT"-Berichten. Das Rekordhoch von 199 Euro aus dem Herbst 2019, als der Konzern die Commerzbank aus dem Dax verdrängt hat, ist aber noch in weiter Ferne.

Mit einem Börsenwert von zuletzt etwas mehr als 18 Milliarden Euro ist Wirecard aber immer noch deutlich mehr wert als die Deutsche Bank (14 Mrd) und die Commerzbank (7 Mrd). Einer der größten Profiteure des starken Anstiegs der Aktie in den vergangenen Jahren ist Konzernchef Braun selbst - er hält sieben Prozent der Anteile. Das Paket ist aktuell knapp 1,3 Milliarden Euro wert./men/zb/jha/