ASCHHEIM (dpa-AFX) - Wirecard-Anleger gehen leidgeprüft ins neue Jahr. Immer noch lasten bei dem Dax-Konzern die Vorwürfe rund um Bilanzierungsunregelmäßigkeiten schwer auf dem Kurs, auch wenn es zuletzt wieder aufwärts ging. Zum Ende des ersten Quartals rechnen Börsianer mit einem Showdown: Bis dahin soll die Sonderprüfung der Bücher abgeschlossen sein. Was im Unternehmen los ist, was die Analysten sagen und wie die Aktie derzeit dasteht.

DAS IST LOS BEI WIRECARD:

Wirecard-Chef Markus Braun will den Turbulenzen mit der Sonderprüfung endlich den Garaus machen. Im Kern geht es darum, ob das Unternehmen bei Töchtern in Dubai und Irland Umsätze und Gewinne zu hoch angesetzt hat. Neben dem regulären Hausprüfer EY durchforsten nun die Experten von KPMG die Bücher nach Auffälligkeiten. Wirecard weist nach wie vor alle Vorwürfe rund um Scheinbuchungen zurück, alle verbuchten Kundenbeziehungen und die Umsatzerfassung seien authentisch.

Im Januar tauschte der Konzern überraschend den Aufsichtsratschef. Der ehemalige Oberkontrolleur Wulf Matthias war wegen des Umgangs mit der Affäre kritisiert worden. Der neue Chef des Aufsichtsgremiums Thomas Eichelmann verbreitete sogleich Optimismus in Sachen Sonderprüfung. "Aus der Tatsache, dass wir noch keine Ad-hoc-Meldung abgegeben haben, können Sie Ihre Schlüsse ziehen", sagte er kurz nach seiner Berufung dem "Manager-Magazin". Also keine sogenannte "Smoking Gun" in den Büchern? Das Ergebnis bleibt zunächst offen.

Wirecard ist auch durch ungeschickte Kommunikation immer tiefer in den Strudel rund um schlechte Nachrichten geraten. Als die britische "Financial Times" ("FT") Ende Januar mit kritischen Berichten rund um die Bilanzprobleme einer Tochter in Singapur begann, wiegelte Vorstandschef Braun noch ab, die Berichte seien "völlig substanzlos". Im Nachhinein musste der langjährige Chef dann aber Qualitätsprobleme und kleinere Fehlbuchungen einräumen.

Die Geschichte hat sich allerdings mit neuen Vorwürfen und recht dubiosen Vorgängen im Spekulantenumfeld mittlerweile zum handfesten Börsenthriller ausgewachsen. Wirecard sieht sich als Opfer einer konzertierten Aktion von Spekulanten, die mit fallenden Kursen Geld verdienen wollen. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt aufgrund des Verdachts der deutschen Finanzaufsicht Bafin unter anderem in diese Richtung. Frühere Attacken auf die Wirecard-Aktie waren für die sogenannten Leerverkäufer lukrativ, etwa im Februar 2016.

Das eigentlich so brummende Tagesgeschäft gerät bei all dem in den Hintergrund. Dabei wollen die Aschheimer auch in diesem Jahr kräftig wachsen, das operative Ergebnis (Ebitda) soll auf 1 bis 1,12 Milliarden Euro anschwellen. Die Zahlen für 2019 muss Wirecard erst noch bekanntgeben, gegenüber der Mitte der Prognosespanne (765 bis 815 Millionen Euro) wäre das ein Zuwachs von gut einem Drittel.

Wirecard hat sich viel vorgenommen. Der Einstieg von Softbank über eine Wandelanleihe soll den Aschheimern bei den vielen Beteiligungen des Tech-Investors Türen öffnen. Zudem sollen die Japaner beim Markteintritt in Japan und Südkorea helfen. Auch in China legt das Unternehmen mit Zukäufen und Kooperationen einen Zahn zu. Damit sich die Ergebnisse aber wieder stärker in den Kursen widerspiegeln, muss Braun wohl ein sauberes Ergebnis der Sonderprüfung präsentieren.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die Branchenexperten sind der Aktie gegenüber weiter positiv gestimmt. Von 17 seit Oktober erfassten Analysten empfehlen 13 das Papier zum Kauf, drei sind für das Halten der Titel, und mit der Bank of America rät weiter nur Adithya Metuku zum Verkauf. Das durchschnittliche Kursziel liegt mit 181 Euro derzeit rund 40 Euro über dem aktuellen Kurs.

Metuku blieb Anfang Oktober vorsichtig und nannte ein Kursziel von 120 Euro. Ihm fehlt es an Klarheit, was die Wachstumstreiber angeht. Der optimistischste Analyst ist Simon Bentlage von Hauck & Aufhäuser. Er sieht den Aktienkurs auf Sicht von 12 Monaten bei satten 270 Euro. Die jüngste Kursrally sei gerechtfertigt, schrieb er Ende Januar. Gegenüber der Konkurrenz von Adyen und Worldline seien die Papiere des Zahlungsabwicklers immer noch sehr günstig.

Während die Augen auf die Untersuchungen der Wirtschaftsprüfer von KPMG gerichtet seien, wäre eine weiter anziehende Gewinndynamik ein starkes Signal an die Investoren, schrieb Baader-Bank-Analyst Knut Woller.

DAS MACHT DIE AKTIE:

In den vergangenen Wochen hat das Papier viel Boden gut gemacht, offenbar scheint sich am Markt die Ansicht durchzusetzen, dass die Sonderprüfung von KPMG keinen "rauchenden Colt" ans Tageslicht bringt. Im laufenden Jahr hat die Aktie bisher um rund ein Drittel zugelegt und ist damit nach der Deutschen Bank der beste Dax-Wert. Im Gesamtjahr 2019 sah das noch komplett anders aus, da hatte Wirecard die rote Laterne mit einem Minus von einem Fünftel.

Das Vertrauen der Anleger in das Unternehmen scheint allerdings auf wackligen Füßen zu stehen. Vom bisherigen Rekordhoch von 199 Euro aus dem September 2018, kurz vor dem Aufstieg in den Dax, ist das Wirecard-Papier mit gut 140 Euro aktuell ohnehin weit entfernt. Aber auch das Zwischentief von 86 Euro im Frühjahr 2019 infolge der ersten Berichte rund um Bilanzunregelmäßigkeiten in Singapur scheint weit hinter dem Unternehmen zu liegen.

Wirecard ist ein relativ junges Unternehmen und noch Ende 2016 pendelte die Aktie um 40 Euro. Doch die Marktkapitalisierung hat sich gegenüber früheren Jahren deutlich erhöht. Zwar ist das Unternehmen an der Börse derzeit mit 17,7 Milliarden Euro wieder rund zwei Milliarden weniger wert als das größte deutsche Geldhaus, die Deutsche Bank. Immer noch bringen die Aschheimer aber mehr als doppelt so viel auf die Waage wie die Commerzbank. Der niederländische Wirecard-Konkurrent Adyen ist mit einer Marktkapitalisierung von 26,5 Milliarden Euro den drei deutschen Konzernen aber ein gutes Stück weit voraus./men/nas/he