- von Alexander Hübner und Jörn Poltz

Es ist das erste Mal überhaupt, dass sich die Frankfurter Wertpapieraufseher zu einem kompletten Verbot von Leerverkäufen einer einzelnen Aktie durchringen. Die BaFin fürchtet offenbar, dass sich die massiven Kursschwankungen bei Wirecard zu einem Flächenbrand entwickeln. Sie hätten zu "massiven Unsicherheiten an den Finanzmärkten" geführt und seien "eine ernstzunehmende Bedrohung für das Marktvertrauen", heißt es in der Verfügung, die von der obersten Wertpapieraufseherin Elisabeth Roegele unterzeichnet ist. Bei weiteren Leerverkäufen drohe eine Abwärtsspirale. Die Wirecard-Aktie schoss am Montag um bis zu 14 Prozent nach oben.

Die Behörde spricht von "Short-Attacken" auf die Wirecard-Aktie, also von Angriffen auf den Aktienkurs über den Verkauf von Papieren, die sich die Spekulanten nur geliehen haben. Die Netto-Leerverkaufspositionen seien seit Anfang Februar deutlich erhöht worden - von dem Tag an, als die "Financial Times" (FT) über angebliche Bilanzmanipulationen bei der Asien-Tochter in Singapur berichtet hatte. Mehrere "FT"-Berichte ließen die Aktie danach immer weiter abstürzen. Seit Ende Januar ist sie um 40 Prozent gefallen.

Der Autor der "FT"-Berichte ist infolge einer Strafanzeige auch ins Visier der Münchner Staatsanwaltschaft geraten, die dem Verdacht der Marktmanipulation mit Wirecard-Aktien nachgeht. Sie steht bei den Ermittlungen aber ganz am Anfang, wie eine Sprecherin sagte. Ein potenzieller Aktienkäufer habe angegeben, er habe von einem der Berichte schon vor dessen Veröffentlichung erfahren. Der "FT"-Reporter setzt sich seit 2015 kritisch mit Wirecard auseinander. Rund um seine Berichte hatte es mehrere Leerverkaufs-Wellen gegeben. Die Wirtschaftszeitung wies den Vorwurf "unethischer Berichterstattung" erneut als "grundlos und falsch" zurück. Ein Wirecard-Sprecher sagte: "Wir begrüßen alle Maßnahmen der Aufsichtsbehörden, die zu einer schnellen Aufklärung beitragen."

WAS BRINGT DAS VERBOT?

Aktienhändler Mark Taylor von Mirabaud Securities sagte, er halte das Verbot für übertrieben, das zunächst für zwei Monate gilt. "Wenn ich an Leerverkaufsverbote anderswo denke, haben sie selten die gewünschte Wirkung erzielt." Die einen warteten nur auf die Aufhebung des Verbots, die anderen verzichteten einfach darauf, die Aktie zu kaufen.

Die BaFin hat einen guten Überblick über Wetten gegen die Wirecard-Aktien. Bei ihr müssen alle Positionen von mehr als 0,2 Prozent gemeldet werden, also Leerverkäufe über 27 Millionen Euro. Veröffentlicht werden müssen nur Positionen von mehr als 0,5 Prozent - davon gibt es nur zwei: der Hedgefonds Slate Path, der mehr als 200 Millionen Euro auf einen Kursverfall der Aktie gesetzt hat und der Londoner Fondsmanager Crispin Odey von Odey Asset Management. Er kritisierte, die BaFin mache sich mit dem Verbot angesichts der Vorwürfe gegen Wirecard angreifbar. "Das ist sehr, sehr riskant", sagte Odey zu Reuters. "Sie machen sich zumindest einer Pflichtverletzung schuldig, wenn irgendjemand Geld verliert, weil sich am Ende herausstellt, dass Wirecard kriminell ist."

"ZU GROSS, UM SCHEITERN ZU DÜRFEN"

Die europäische Marktaufsicht ESMA stellte sich hinter das Einschreiten der BaFin. Die massiven Kursausschläge bereiten vor allem Fondsmanagern Kopfschmerzen. Aktiv gemanagte Fonds laufen Gefahr, auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Michele Pedroni von Decalia Asset Management erklärte: "Das starke Wachstum von Wirecard und die herausragende Kursentwicklung haben dazu geführt, dass die Firma 'zu groß geworden ist, um scheitern zu dürfen'." Er habe seine Aktien am Tag nach dem ersten Bericht der "FT" verkauft. "Die Bewertung ist noch nicht interessant genug, um wieder einzusteigen. Es gibt Alternativen am Markt."

Seit dem Dax-Aufstieg im September 2018 ist die Wirecard-Aktie an neun Tagen jeweils um mehr als zehn Prozent gestiegen oder gefallen, der größte Kurssturz war ein Minus von 31 Prozent am 1. Februar. Wirecard war schon vor dem Dax-Aufstieg Ziel von Short-Attacken. 2016 erhob eine bis dahin unbekannte "Zatarra Research & Investigations" Betrugs- und Geldwäschevorwürfe. Gegen deren Initiatior Fraser Perring hat die Staatsanwaltschaft München einen Strafbefehl wegen Marktmanipulation beantragt.

Mit dem strikten Verbot neuer Leerverkäufe oder der Erhöhung von Leerverkaufs-Positionen greift die BaFin erstmals zu diesem scharfen Schwert. In der Finanzkrise 2008 hatte sie ungedeckte Leerverkäufe von elf deutschen Finanztiteln verboten. Seit 2010 sind ungedeckte Leerverkäufe - Wetten auf fallende Kurse, ohne dass sich die Investoren die zugrundeliegende Aktie überhaupt geliehen haben - in Deutschland ganz verboten, seit Ende 2012 gilt das in ganz Europa.