"Weil es keine europäische Finanzpolizei gibt und die Regierungen bei Steuerkriminalität nicht zusammenarbeiten, ist dieser Raubzug überhaupt erst möglich geworden", sagte der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick am Donnerstag. Laut Recherchen einer europaweiten Medienkooperation unter der Leitung des Recherchezentrums Correctiv, an denen sich auch die Nachrichtenagentur Reuters beteiligte, betrifft der "Cum-Ex"-Skandal neben Deutschland und Dänemark auch andere europäische Länder. Zudem geraten den "CumEx-Files" (www.cumex-files.com) zufolge immer mehr internationale Finanzkonzerne ins Fadenkreuz der Ermittler.

Das Bundesfinanzministerium trat der Kritik entgegen. "Wir haben in der Vergangenheit diverse Staaten, auch auf deren Nachfrage hin, über die Verfahrensweise bei 'Cum-Ex'-Geschäften informiert", sagte ein Sprecher. Die Bundesregierung habe in den letzten Jahren Maßnahmen ergriffen, um "Cum-Ex"-Geschäfte in Deutschland zu unterbinden. Die Umsetzung einer EU-Richtlinie zum automatischen Austausch von Informationen über bestimmte Steuergestaltungsmodelle werde derzeit zwischen Bund und Ländern beraten.

Mit der Aufarbeitung des "Cum-Ex"-Skandals in Hessen und der Finanzmetropole Frankfurt befassen sich Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) zufolge fünf Ermittlergruppen mit über 40 Mitarbeitern. Insgesamt summiere sich der Steuerbetrug durch "Cum-Ex"-Geschäfte in dem Bundesland auf rund 1,3 Milliarden Euro - durch Kapitalertragsteuern, die zu Unrecht geltend gemacht worden seien.

Der frühere Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans (SPD), forderte auf Twitter die Einführung eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland, "besonders für Banken". Zudem müssten die vorhandenen Instrumente rigoros angewendet werden. Auch der Grünen-Experte Schick kritisierte, dass in Deutschland aus dem Skandal bisher nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen worden seien. Er warb für die Einführung eines verbindlichen, gesetzlichen Lobby-Registers und eines "legislativen Fußabdrucks", um den Einfluss von Interessengruppen auf Gesetze offenzulegen. Die "Cum-Ex"-Geschäfte kamen in Deutschland 2007 erst so richtig in Schwung, nachdem eine Gesetzesänderung ein Schlupfloch für ausländische Investoren gelassen hatte. Am Zustandekommen des Gesetzes waren auch der Bankenverband (BdB) und die Deutsche Bank beteiligt, wie ein Untersuchungsausschuss des Bundestages 2016 offenbarte. Die Deutsche Bank selbst war nach eigenen Angaben in einzelne "Cum-Ex"-Geschäfte verwickelt.

Bei "Cum-Ex" ließen sich Anleger die einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mit Hilfe ihrer Bank mindestens zwei Mal erstatten. Dadurch sind dem Fiskus in Deutschland nach Angaben des Bundesfinanzministeriums mehr als fünf Milliarden Euro entgangen, bevor die Gesetzeslücke 2012 geschlossen wurde. Europaweit summiert sich der Schaden auf über 55 Milliarden Euro, wenn man weitere undurchsichtige Steuerkonstruktionen hinzu zählt.