DUISBURG (dpa-AFX) - Europas größter Stahlstandort Duisburg erhält derzeit viel Besuch. Am Dienstag war Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) im Thyssenkrupp-Hüttenwerk, demnächst kommt Sebastian Grieme vorbei, ein 19-jähriger Klimaaktivist aus der Schülerbewegung "Friday for Future". Konzernchef Guido Kerkhoff wollte und will ihnen vorführen, wie Thyssenkrupp zum grünen Stahlkocher werden soll.

Karliczeks Ministerium finanziert mit vielen Millionen Euro die Versuche des Stahlriesen, die massenhaft anfallenden Hüttengase in Rohstoffe für die Chemieindustrie umzuwandeln. Grieme hatte öffentlich das Ziel von Thyssenkrupp, bis 2050 zum klimaneutralen Konzern zu werden, als nicht ausreichend kritisiert. Um die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, "muss es schneller gehen als 2050", forderte er und bekam prompt eine Einladung von Kerkhoff zu Werksbesuch und Diskussion.

Das riesige Werk von Thyssenkrupp am Rhein ist nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) die Industrieanlage mit den höchsten Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland. Nur die großen Braunkohlekraftwerke haben noch höhere Werte. Rund 23 Millionen Jahrestonnen C02 ist der ökologische Fußabdruck von Thyssenkrupp groß, etwa 93 Prozent davon fallen beim Stahl an.

Während der Energiesektor seinen CO2-Ausstoß seit Jahren kontinuierlich gesenkt hat, ist in der Industrie nur wenig passiert. Die Emissionen der energieintensiven Industrie, zu der der Stahl zählt, hätten 2018 "auf dem hohen Niveau der Vorjahre stagniert", hatte das Umweltbundesamt noch im Frühjahr festgestellt.

Ohne einen wirkungsvollen Beitrag der Schwerindustrie kann Deutschland die Klimaziele für 2030 nicht erreichen. "Das CO2-Vermeidungspotenzial ist riesig", stellte Karliczek in Duisburg fest. Bis 2030 müssten die jährlichen Treibhausgasemissionen dreimal stärker sinken als in den Jahren 2000 bis 2017. "Daran sieht man, wie groß die Herausforderung ist", sagte die Ministerin. Sie dringt bei der CO2-Reduzierung auf "Tempo und Tonnage". Je länger gewartet werde, "umso drastischer müssen am Ende die Maßnahmen ausfallen".

Der Stahlriese Thyssenkrupp muss den Ausstoß von Klimagasen auch reduzieren, um seine Kosten im Griff zu behalten. Stahlwerke nehmen am EU-Emissionshandel teil. Während die Branche bisher weitgehend auf kostenlos zugeteilte Zertifikate zurückgreifen konnte, drohen mit der Verknappung der Verschmutzungsrechte steigende Preise. Der Branchenverband Stahl hatte deshalb bereits vor Zusatzkosten in Milliardenhöhe gewarnt.

Greenpeace begrüßte die Ankündigung von Thyssenkrupp, den CO2-Ausstoß zu senken. "Endlich fängt auch die Stahlindustrie an, sich beim Klimaschutz nicht länger auf falschen politischen Anreizen wie Gratis-Emissionsrechten oder niedrigen Industriestrompreisen auszuruhen", sagte der Energieexperte der Umweltorganisation, Niklas Schinerl.

Die Stahlindustrie versucht, die CO2-Belastung auf zwei Wegen zu senken. Zum einen sollen die Hüttengase als Rohstoff für die chemische Industrie genutzt werden. Dieses Vorhaben mit dem Namen Carbon2Chem, an dem Unternehmen und Wissenschaft gemeinsam arbeiten, fördert das Bundesforschungsministerium mit bislang mehr als 60 Millionen Euro. Weiteres Geld könnte folgen.

Einen wichtigen Schritt hat man in Duisburg bereits erreicht: Im vergangenen Jahr konnten erstmals Methanol und Ammoniak unter industriellen Produktionsbedingungen aus den Hüttengasen erzeugt werden. Methanol könnte für grüne Treibstoffe genutzt werden, Ammoniak für Kunstdünger. Doch bis zu einer großindustriellen Lösung dürften noch 15 Jahre vergehen, schätzt man bei Thyssenkrupp.

Der zweite Weg setzt direkt am Hochofen an. Der Dax-Konzern will dort im laufenden Betrieb schrittweise den Kohlenstoff durch Wasserstoff ersetzen. Eine "Operation am offen Herzen" sei das, sagte Thyssenkrupp-Stahlchef Premal Desai. Auch Europas größer Stahlkonzern Arcelor Mittal arbeitet in seinem Hamburger Werk an diesem Verfahren, bei dem Treibhausgase erst gar nicht entstehen sollen.

Die CO2-Reduktion bei der Stahlproduktion könnte auch ein Exportschlager werden, glaubt Karliczek. Weltweit gebe es etwa 50 Stahlwerke, in denen die von Thyssenkrupp entwickelte Technik eingesetzt werden könnte. Der Stahl stehe für 7 bis 9 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen./hff/DP/jha