(Neu: mehr Details, Aussagen Hiesinger, Hintergrund)

ESSEN (dpa-AFX) - Der Industriekonzern Thyssenkrupp hat nach monatelanger Hängepartie eine Lösung für sein Stahlgeschäft gefunden. Die Essener unterzeichneten eine Absichtserklärung mit der indischen Tata Steel über eine Zusammenlegung ihrer europäischen Stahlgeschäfte in ein Gemeinschaftsunternehmen, teilte Thyssenkrupp am Mittwoch in Essen mit. Dabei dürften bis zu 2000 der zuletzt 27 000 Stellen im Stahlgeschäft des deutschen Konzerns wegfallen. Thyssenkrupp-Aktien sprangen am Vormittag um zeitweise fast fünf Prozent nach oben.

An dem Gemeinschaftsunternehmen, das seinen Sitz in den Niederlanden haben soll, wollen beide Partner 50 Prozent halten. Der endgültige Vertrag soll bis Anfang 2018 ausgearbeitet werden. Thyssenkrupp und Tata erhoffen sich durch die Zusammenlegung ihrer Aktivitäten Synergien in Millionenhöhe - die erwarteten jährlichen Einsparungen bezifferte der Essener Konzern auf 400 bis 600 Millionen Euro.

STIFTUNG FÜR ZUSAMMENARBEIT - BETRIEBSRAT: ENTSCHEIDUNG FALSCH

Unterstützung kommt von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die mit rund 23 Prozent der größte Aktionär von Thyssenkrupp ist. Die Stiftung "begrüße" die Zusammenarbeit, "die den langfristigen Erhalt und die eigenverantwortliche Fortführung des Unternehmens zum Ziel" habe. Vorstand und Aufsichtsrat würden die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens "verantwortungsvoll" vorantreiben und "sorgfältig" begleiten.

Kritik kam dagegen vom Betriebsrat, der die Entscheidung "falsch" nannte. Der Betriebsrat habe jetzt jedoch die Aufgabe, diese aus seiner Sicht falsche Entscheidung mitzugestalten. Ziel müsse es dabei sein, "das Schlimmste" zu vermeiden, sagte der Betriebsratschef der Stahlsparte Günter Back der Deutschen Presse Agentur. Back zeigte sich überzeugt, dass es bei einer Fusion nicht bei dem angekündigten Abbau von rund 2000 Stellen bei Thyssenkrupp in Deutschland bleiben werde. Am Ende würden einem Zusammenschluss "wesentlich mehr" Arbeitsplätze zum Opfer fallen, meinte er.

TAUSENDE STELLEN SOLLEN WEGFALLEN

Thyssenkrupp erklärte, dass bis zu 4000 Stellen zur Disposition stünden, davon die Hälfte bei den Essenern. Dabei entfielen bis zu 2000 in der Verwaltung und möglicherweise bis zu 2000 in der Produktion. Zu Beginn käme der überwiegende Teil der Synergien durch eine Integration von Vertrieb und Verwaltung, Forschung und Entwicklung, eine gemeinsame Optimierung von Einkauf, Logistik und Service sowie eine bessere Auslastung der Weiterverarbeitungsstufen zustande, hieß es.

Zu einem späteren Zeitpunkt - ab 2020 - würde das gesamte Produktionsnetz überprüft. Daraus mögliche Synergien habe Thyssenkrupp noch nicht quantifiziert. Das Unternehmen prüft seit über einem Jahr Optionen für die volatile Stahlsparte. Der Stahlmarkt leidet unter Überkapazitäten und Preisdruck, die Nachfrage entwickelt sich wenig dynamisch. Trotz der sich zuletzt erholenden Preise hält Konzernchef Heinrich Hiesinger eine Konsolidierung für notwendig.

ABSCHLUSS FÜR ENDE 2018 GEPLANT

"Wir werden im Joint Venture keine Maßnahmen angehen, die wir nicht auch im Alleingang hätten umsetzen müssen", sagte Hiesinger. Er gehe im Gegenteil davon aus, dass die Belastungen für jeden der beiden Partner geringer ausfallen werde, als sie für beide allein ausgefallen wären. In einem Brief an die Mitarbeiter, der der Deutschen Presseagentur vorliegt, schrieb Hiesinger, die Nachfrage nach Flachstahl wachse nur sehr langsam. Alle Stahlunternehmen arbeiteten mit Restrukturierungsprogrammen dagegen.

Das Gemeinschaftsunternehmen muss noch vom Thyssenkrupp-Aufsichtsrat sowie vom Verwaltungsrat von Tata Steel genehmigt werden. Zudem müssen die Wettbewerbsbehörden noch zustimmen. Bis Ende 2018 soll dann alles unter Dach und Fach sein. Mit Vertragsunterzeichnung würde der Geschäftsbereich Steel Europe bei Thyssenkrupp in der Bilanz als "nicht fortgeführte Aktivität" ausgewiesen, hieß es. Mit Abschluss der Transaktion werde die Beteiligung an dem Joint Venture zum anteiligen Buchwert bilanziert, wodurch sich die Bilanzkennzahlen des Konzerns "signifikant" verbessern würden.

ZWEITGRÖSSTER STAHLKONZERN HINTER ARCELORMITTAL

Durch die Fusion entsteht das hinter dem Branchenprimus ArcelorMittal zweitgrößte Stahlunternehmen in Europa, gemessen an der Produktion. Das neue Unternehmen mit dem Namen Thyssenkrupp Tata Steel mit aktuell 34 Standorten würde mit etwa 48 000 Mitarbeitern einen Pro-forma-Umsatz von etwa 15 Milliarden Euro erzielen, und liefern aktuell etwa 21 Millionen Tonnen Flachstahl pro Jahr.

Thyssenkrupp erhofft sich durch die Verbindung mit Tata Steel Größenvorteile. Zudem ergänzten sich die Geschäfte gut. Thyssenkrupp sei stärker in der Automobilbranche, Tata dagegen bei Industriekunden.

THYSSENKRUPP WILL SICH STÄRKER AUF INDUSTRIEGÜTER KONZENTRIEREN

Hiesinger will Thyssenkrupp mit der Loslösung vom Stahlgeschäft stärker auf das Industriegüter- und Dienstleistungsgeschäft konzentrieren, wie etwa auf die Aufzugsparte sowie Komponenten für die Automobilindustrie. Thyssenkrupp erzielt mittlerweile rund 75 Prozent seines Umsatzes mit Industriegütern und Dienstleistungen. Die Automobilindustrie ist dabei mittlerweile die wichtigste Einzelindustrie von Thyssenkrupp. Hier setzt der Konzern knapp 10 Milliarden Euro im Jahr um, das entspricht rund 25 Prozent des Gesamtumsatzes. Rund ein Viertel der Stahlproduktion von Thyssenkrupp geht in die Automobilindustrie./nas/uta/