ESSEN (dpa-AFX) - Der kriselnde Stahl- und Industriekonzern Thyssenkrupp hat die Flucht nach vorne angetreten und die eigene Aufteilung beschlossen. Mit künftig zwei börsennotierten Unternehmen will das Management die Profitabilität verbessern. Zudem versucht Thyssenkrupp damit, Dauerkritikern wie Großaktionär Cevian den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ein Allheilmittel gegen die operative Schwäche ist die Teilung jedoch nicht. Die wichtigsten Punkte für das Unternehmen, was die Experten sagen und wie es für die Aktie läuft.

DAS IST LOS BEI THYSSENKRUPP:

Thyssenkrupp beendete Ende September die monatelange Unsicherheit um die Zukunft des Konzerns, als Konzernchef Guido Kerkhoff die Aufteilung verkündete. Künftig soll es zwei Thyssenkrupps geben. In dem einen Unternehmen werden die wachstumsträchtigeren Geschäfte um Aufzüge, Autokomponenten und den Anlagenbau zusammengefasst werden. Das andere Unternehmen wird aus dem Anteil an der künftigen Stahl-Gemeinschaftsfirma mit Tata Steel, dem Werkstoffhandel, den Großwälzlagern, dem Schmiedegeschäft sowie dem Schiffbau bestehen.

Beide Unternehmen sollen börsennotiert sein. Thyssenkrupp erhofft sich durch die Eigenständigkeit der Unternehmen eine bessere Entwicklung sowie eine steigende Profitabilität. Als Konglomerat agierte der Konzern zuweilen schwerfällig. Den eigenen Renditezielen waren die verschiedenen Geschäftsbereiche in den vergangenen Jahren stetig hinterhergelaufen. Durch die neue Aufstellung erhofft sich das Management nun schnellere Entscheidungen und Reaktionen auf den Wettbewerb sowie das Umfeld.

Die Entscheidung zur Aufteilung kam für viele überraschend. Seit Monaten war das Unternehmen ohne Aufsichtsratschef. Finanzvorstand Kerkhoff führte die Geschäfte nur übergangsweise. Vorstandsvorsitzender Heinrich Hiesinger sowie Chefaufseher Ulrich Lehner hatten zuvor kurz hintereinander wegen erheblicher Dissonanzen mit dem Aufsichtsgremium über die zukünftigen Pläne das Handtuch geworfen. Marktbeobachter hatten angenommen, dass Thyssenkrupp zunächst versuchen würde, die Führungskrise zu lösen und mit einem neuen Chef die künftige Strategie festzuzurren. Doch gelang es nicht, einen neuen Aufsichtsratschef von außen zu finden, Thyssenkrupp handelte sich die Absagen offenbar gleich reihenweise ein.

Ein "weiter so" konnte es aber nicht geben, wie Kerkhoff bei der Vorstellung der Teilungspläne berichtete. Zu unterschiedliche Geschäfte, keine Klarheit für die Weiterentwicklung der Bereiche, zu langsame Entscheidungen sowie eine schwache Kapitalausstattung setzten Thyssenkrupp unter Zugzwang. Dazu saß Großaktionär Cevian der Führung mit der Forderung eines radikalen Umbaus im Nacken. Neben der Aufteilung wurden auch andere Optionen diskutiert, wie etwa Verkäufe oder einen Teilbörsengang beziehungsweise die Fusion des Aufzugsgeschäft. Dies wurde jedoch verworfen.

Die genaue Ausgestaltung der Teilung muss noch ausgearbeitet werden. Bis zu eineinhalb Jahre hat Kerkhoff für den Prozess veranschlagt. Zusätzliche Sparziele oder einen Stellenabbau über die bereits geplanten Maßnahmen hinaus soll es nicht geben. Auch an den Finanzzielen für die einzelnen Sparten wird nicht gerüttelt. Die Großaktionäre, neben Cevian auch die Krupp-Stiftung, stimmten den Plänen zu. Die Führungskrise wurde intern gelöst. Als Aufsichtsratsvorsitzender wurde Bernhard Pellens bestimmt, der bereits in dem Gremium sitzt. Und Kerkhoff wurde dauerhaft als Vorstandsvorsitzender bestimmt.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die Marktexperten urteilten grundsätzlich positiv über die Entscheidungen, die so einige als Zugeständnis an die aktivistischen Investoren werten, zu denen seit geraumer Zeit auch der Hedgefonds Elliott gehört. Die im dpa-AFX Analyser zusammengefassten Analysten empfehlen die Aktie überwiegend zum Kauf. Die Aufspaltung sei "sinnvoll", fand zum Beispiel Analyst Christian Obst von der Baader Bank. Andere sehen nun wieder eine strategische Perspektive für Thyssenkrupp. Für Seth Rosenfeld vom Analysehaus Jefferies bietet sich die Chance für eine Neubewertung des Industriegeschäfts und eine Restrukturierung der weniger attraktiven Materials-Sparte. Denn vor allem im wertvollen Aufzuggeschäft kann Thyssenkrupp bislang ungenutzte stille Reserven haben, was die Bilanz positiv beeinflussen soll.

Positiv bewertet wird auch, dass die beiden neuen Unternehmen nun für sich "Konsolidierungschancen" nutzen könnten, wie Commerzbank-Analyst Ingo-Martin Schachel schreibt. Auch hier blicken die Analysten vor allem auf das Aufzuggeschäft. Denn schon einmal hat es Überlegungen eines Einstiegs des japanischen Wettbewerbs Kone gegeben. Die Übernahmefantasien könnten daher anhalten.

Aber es gibt auch Kritik: Viele Aspekte seien noch unklar, in erster Linie der Zeitrahmen sowie die Gewinnbeiträge und Strukturen der individuellen Einheiten, schrieb Analyst Luke Nelson von JPMorgan. Bei den beiden neuen Unternehmensgruppen im Konzern würde es sich nach wie vor um Mischkonzerne handeln, findet Sven Diermeier von Independent Research. Auch wird das Thyssenkrupp Materials getaufte Unternehmen, im dem die Werkstoffbereiche vereinigt sind, als der schwächere Part gesehen. Das dort künftig ebenfalls beheimatete Marinegeschäft wirke zudem wie ein Fremdkörper.

Die Kritik an der langen Zeitspanne will dagegen Commerzbank-Analyst Schachel nicht gelten lassen. 12 bis 18 Monate seien eine durchaus adäquate Spanne bei solchen Transaktionen. Und er zeigte sich auch nicht besorgt darüber, dass aus einem Konglomerat nun zwei würden.

Allerdings ist eine Aufteilung auch kein Allheilmittel für die derzeitigen Probleme für Thyssenkrupp - insbesondere im operativen Bereich. Zwar gehen Marktbeobachter von Effizienzsteigerungen und künftigen Wertschöpfungen aus. Vor allem letztere werde jedoch nicht von heute auf morgen erfolgen, betonte Baader-Analyst Obst. Lars Brorson von der britischen Investmentbank Barclays bleibt skeptisch: Er hält die Entscheidung Thyssenkrupps zwar auch generell für sinnvoll. Seine Sorgen um die Gewinnqualität und die Bilanz des Industriekonzerns bestünden jedoch weiter, schrieb er in einer Studie.

Aktuelles Beispiel dafür, dass eine Aufteilung auch Wert vernichten kann, ist der Fall Metro. Der Handelskonzern hatte sich vor mehr als einem Jahr mit großen Hoffnungen in das Lebensmittelgeschäft sowie den Elektronikhandel (Ceconomy) aufgespalten - mit ähnlicher Begründung wie bei Thyssenkrupp. Operativ konnten beide Unternehmen jedoch keinerlei Fortschritte erzielen, im Gegenteil: Sowohl Metro als auch Ceconomy mussten bei ihren Gewinnerwartungen zurückrudern, Ceconomy sogar mehrfach. Großaktionär Haniel war gezwungen im ersten Halbjahr fast eine Milliarde Euro auf seine Beteiligungen abzuschreiben. Die Aktien haben in der Zeit massiv an Wert verloren.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Spaltungsabsichten von Thyssenkrupp haben nur kurzfristig für einen Befreiungsschlag gesorgt. In der Spitze schnellten die Aktien am Tag der Ankündigung zwar um 17 Prozent in die Höhe und schlossen immer noch mit einem Plus von zehn Prozent.

Die Euphorie ließ allerdings rasch nach. Danach ging es mit der Aktie wieder abwärts. Seitdem hat das Papier wieder fast zehn Prozent eingebüßt. Die durchwachsene Kursreaktion nannte Commerzbank-Analyst Schachel ungerechtfertigt und schätzt sie als vorübergehend ein.

Seit Jahresbeginn hat die Aktie rund 18 Prozent an Wert verloren und bewegt sich um die Marke von 20 Euro herum. Damit notiert sie deutlich unter dem durchschnittlichen Kursziel der im dpa-AFX Analyser zusammengefassten Analysten. Dieses liegt bei fast 28 Euro./nas/she/mis