FRANKFURT (dpa-AFX) - Das Industriekonglomerat Thyssenkrupp steht in diesem Jahr vor einem neuralgischen Punkt seiner Entwicklung. Wie soll die Thyssenkrupp-DNA künftig aussehen, wenn der Zusammenschluss der Stahlsparte mit dem europäischen Geschäft von Tata Steel unter Dach und Fach ist? Die wichtigsten Punkte für das Unternehmen, was die Experten sagen und wie es für die Aktie läuft:

DAS IST LOS BEI THYSSENKRUPP:

In Zukunft sollen Bereiche wie Komponenten für die Automobilindustrie die Richtung bestimmen. Thyssenkrupp ist ein kompliziertes Geflecht aus einer Reihe von Geschäften. Neben den Stahl und Auto-Komponenten mischt der Konzern etwa bei Aufzügen, im U-Boot- und Anlagenbau mit. Die Stahlfusion ist nun der entscheidende Schritt beim seit Jahren laufenden Umbau des Unternehmens. Im Mai wollen sich der Vorstand unter Chef Heinrich Hiesinger sowie der Aufsichtsrat zum jährlichen "Strategiedialog" treffen.

Einigen Anteilseignern - allen voran dem schwedischen Finanzinvestor und Großaktionär Cevian - geht der Umbau nicht rasch und vor allem nicht radikal genug voran. In immer schnellerer Abfolge kritisiert Cevian öffentlich den seiner Ansicht nach zögerlichen Kurs Hiesingers und sympathisiert offen mit einer Zerschlagung des Konzerns. Cevian-Mitgründer Lars Förberg forderte zuletzt mehr Freiraum für einzelne Sparten nach dem Vorbild von Siemens. Damit würden Börsengänge einzelner Bereiche oder Teilverkäufe einfacher.

Eine Zerschlagung lehnt Hiesinger jedoch ab. Er sieht die größten Vorteile in einem integrierten Konzernmodell. Der Manager steht unter Druck, nach sieben Jahren an der Spitze des Konzerns die erwünschten Ergebnisse zu liefern. Er übernahm den Chefposten in einer tiefgreifenden Krise. Thyssenkrupp hatte sich mit dem Bau von Stahlwerken in den USA und Brasilien finanziell übernommen und dort Milliarden versenkt. Korruptionsaffären erschütterten den Konzern. Hiesinger räumte auf, entließ den halben Vorstand. Der Konzern verkaufte die amerikanischen Werke, ebenso eine Reihe weiterer Geschäfte wie die Edelstahlsparte und den zivilen Schiffbau. Die Finanzkennzahlen verbesserten sich, die Risiken schrumpften, und Hiesinger räumte die Bilanz auf.

Doch die Sparten hinken weiterhin ihren Renditevorgaben hinterher. Die Schwachstellen des Konzerns sind der anhaltende Mittelabfluss aus dem operativen Geschäft sowie die hohe Verschuldung. Hier soll die Vereinbarung mit Tata den Befreiungsschlag bringen und Thyssenkrupp wieder Luft für Investitionen schaffen. Der Verkauf weiterer Konzernteile ist denkbar. Experten haben dabei unter anderem den Stahlhandel im Blick. Einen Veräußerung des Marine-Geschäfts, mit dem einige Investoren liebäugeln, hat Hiesinger bislang ausgeschlossen.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Den Stahlzusammenschluss haben Experten durchgehend begrüßt, weil damit die Abhängigkeit vom zyklischen Stahlgeschäft sinkt. Analysten der Credit Suisse sehen in dem Umbau vom Stahl- zum Industriekonzern den entscheidenden Kurstreiber für die Aktie. Sie halten eine Aufspaltung langfristig für durchaus möglich.

Abseits von diesem Teilerfolg bei der Restrukturierung sehen die Experten jede Menge Probleme. Der anhaltende Kapitalabfluss im operativen Geschäft, die hohe Verschuldung und der steigende Druck, endlich die anvisierten Margenziele zu erreichen, sind die Knackpunkte. Negativ eingestellt ist die britische Bank Barclays. Deren Analysten vertreten die Ansicht, die Ergebnisqualität, die Geschwindigkeit des Konzernumbaus sowie die unmittelbaren Effekte aus der Stahlfusion würden überschätzt.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Kritikpunkte zeigen sich auch in der Aktienentwicklung. Anleger brauchen bei Thyssenkrupp Durchhaltevermögen und gute Nerven: Der Kurs der Aktie fuhr in den vergangenen fünf Monaten Achterbahn. Seit Anfang März dümpeln die Papiere zwischen 21 und gut 22 Euro auf niedrigem Niveau dahin. Und sind damit nicht einmal mehr halb so viel wert wie beim Rekordhoch vom Oktober 2007 knapp unter 47 Euro.

Die Aussicht auf die Stahlfusion hatte von November bis Januar noch für kräftige Kursgewinne gesorgt - von Kursen unter 22 Euro in der Spitze bis auf 26,50 Euro. In dieser Phase spekulierten Anleger auf eine über das Stahlgeschäft hinausgehende Straffung des Industriekonzerns. Danach begann eine Talfahrt, in der die Aktien bis zum Tief Ende März um mehr als 20 Prozent absackten. Damit schnitten sie erheblich schlechter ab als der Gesamtmarkt, der Dax gab in diesem Zeitraum nur halb so stark nach. Die Kritik der Anleger wandte sich dabei wieder dem Tagesgeschäft bei Thyssenkrupp zu: Enttäuschende Quartalszahlen und ein vorsichtiger Ausblick./nas/bek/stw/fba

Unternehmen im Artikel: thyssenKrupp, Tata Steel