(neu: Details aus der Pressekonferenz)

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Der Elektrokonzern Siemens stellt sich grundlegend neu auf. Das Unternehmen will Sparten zusammenlegen und sich künftig auf drei operative Bereiche mit Schwerpunkt auf die Digitalisierung konzentrieren. So soll mittelfristig das Wachstum angekurbelt und die Profitabilität weiter gesteigert werden. Dabei lässt das Modell Luft für eine Weiterentwicklung in den kommenden Jahren - und damit genügend Spielraum für den künftigen Nachfolger von Siemens-Chef Joe Kaeser, der 2021 aufhören wird.

Die Aktie konnte dies nicht beflügeln - im Gegenteil, sie verlor am Mittag fast 5 Prozent. Analysten verwiesen auf fehlende Details zur neuen Strategie und auf die von ihnen als durchwachsen eingestuften Zahlen zum dritten Quartal, die Siemens am Donnerstag ebenfalls vorgelegt hatte. So waren Umsatz und operatives Ergebnis erheblich vom starken Euro gebremst worden, zudem machte Siemens der anhaltende Ergebnisrückgang im Kraftwerksgeschäft zu schaffen.

Mit der neuen Strategie treibt Kaeser den Umbau voran, den er 2014 angestoßen hatte. Viel Überraschendes oder revolutionär Neues hatte er dabei aber nicht zu verkünden - zudem war vieles bereits vorher durchgesickert. Den einzelnen Geschäften soll künftig deutlich mehr unternehmerische Freiheit unter der Marke Siemens gegeben werden. Zudem setzt der Konzern den neuen Bereichen ehrgeizige Margenziele.

"Die Geschwindigkeit und Mächtigkeit der globalen Veränderungen nehmen zu und wir haben die Pflicht, diese zu antizipieren", sagte Kaeser in München. Es wäre "unverantwortlich", sich auf erreichten Erfolgen auszuruhen. Die Digitalisierung sei die größte Veränderung in der Industriegeschichte. "Nicht die größten Unternehmen werden überleben, sondern die anpassungsfähigsten."

In den drei neuen Sparten Gas & Power, Smart Infrastructure sowie Digital Industries sollen die bisherigen Bereiche Gebäudetechnik, Energiemanagement, das Kraftwerksgeschäft, große Teile des Bereichs Prozessindustrie und Antriebe sowie die Digitale Fabrik aufgehen. Die drei Chefs der Sparten - Lisa Davies (Gas & Power), Cedrik Neike (Smart Infrastructure) sowie Klaus Helmrich (Digial Industries) sollen unverändert Mitglieder des Konzernvorstandes bleiben. Zwei der drei Sparten werden dabei ihren Sitz im Ausland haben. Nur das Geschäft mit der Digitalisierung bleibt in Deutschland und wird in Nürnberg seinen Sitz haben.

Damit nimmt Kaeser im Gegensatz zu anderen Unternehmen wie Continental oder Daimler zunächst Abstand von einem Holding-Modell. Die drei Sparten erhalten zwar mehr Selbstständigkeit, werden aber nicht rechtlich selbstständig. Dies schaffe keinen Mehrwert, begründete Kaeser die Entscheidung. Für die weitere Zukunft wollte der Vorstandsvorsitzende aber weitere Schritte nicht ausschließen.

Siemens hat reichlich Erfahrung mit der Abspaltung von Geschäftsteilen: Etwa der Halbleiterhersteller Infineon oder der Lichtkonzern Osram stammen ursprünglich aus dem Siemens-Reich. Der Konzern hat zudem in den vergangenen eineinhalb Jahren mit der Windenergie, der Medizintechnik sowie dem Bahngeschäft drei weitere Bereiche ausgegliedert oder die Abspaltung auf den Weg gebracht.

Weitere Börsengänge sind dem Vorstandschef zufolge derzeit nicht vorgesehen - wobei die Betonung Kaesers auf "derzeit" liegt. Das neue Konzept lasse viel Spielraum für weitere Entwicklungsmöglichkeiten.

Dabei hat Kaeser auch die in Europa zunehmend aktiver werdenden Hedgefonds beziehungsweise aktivistische Finanzinvestoren im Blick, die sich vor allem bei Unternehmen mit schwacher Entwicklung einkaufen und auf massive Strukturveränderungen drängen - wie etwa aktuell bei Thyssenkrupp oder General Electric. Lieber rechtzeitig Veränderungen selbst in die Hand nehmen, als später dazu getrieben werden, lautet daher die Devise des Managers.

Siemens will dabei auch in neue Wachstumsgebiete investieren, wie etwa in das Internet der Dinge, dezentrales Energiemanagement oder infrastrukturelle Elektromobilität. Ausgebaut werde auch die industrielle Digitalisierung. Dabei will Siemens künftig verstärkt auch in die Beratung einsteigen. Das Geschäft mit der Digitalisierung gehört schon jetzt zu den wachstumsstärksten.

Mit den Maßnahmen soll mittelfristig die jährliche Wachstumsrate des Umsatzes und die Gewinnmarge des Industriellen Geschäfts um jeweils zwei Prozentpunkte steigen. Das Umsatzwachstum soll dabei im Schnitt 4 bis 5 Prozent betragen und die Marge der Industriegeschäfte 11 bis 15 Prozent erreichen. Für 2017/18 hatte sich Siemens eine Marge im Industriegeschäft von 11 bis 12 Prozent gesetzt. Das Ergebnis je Aktie soll mittelfristig stärker wachsen als der Umsatz.

Die kleineren und mittleren Geschäfte sowie Beteiligungen sollen künftig in einer eigenen Einheit geführt werden und 2020 die Gewinnschwelle erreichen. Zudem wird eine neue Service-Einheit geschaffen, der unter anderem der Bereich finanzielle Dienstleistungen zugeordnet wird. Die neue Struktur soll ab 1. Oktober gelten und bis März 2019 umgesetzt werden.

Die Zentrale soll sich künftig auf Kernaufgaben wie Finanzen, Recht, Personalwesen und Kommunikation beschränken. Ob es zu einem Stellenabau kommen wird, ließ Kaeser offen. Ebenso schwieg er über die Kosten des Umbaus sowie mögliche Synergiepotenziale./nas/tos/jha/