FRANKFURT (dpa-AFX) - Der Windanlagenbauer Senvion ist zahlungsunfähig. Und das, obwohl sich die Aussichten für die Branche zuletzt aufgehellt hatten und die Hersteller nach einer Flaute in den vergangenen zwei Jahren wieder volle Auftragsbücher präsentieren. Das Drama bei Senvion hatte sich jedoch bereits in den letzten Monaten angedeutet. Lieferverzögerungen, Prognosesenkung, die Verschiebung des Jahresabschlusses sowie Gespräche mit Investoren und Kreditgebern über die weitere Finanzierung lieferten den Stoff für das Drehbuch.

DAS IST LOS BEI SENVION:

Es deutete sich bereits zu Wochenbeginn an: Da teilte Senvion über die Börse mit, dass es noch keine Einigung zwischen Hauptaktionär und Kreditgebern über die weitere Finanzierung des Unternehmens gebe und weiter verhandelt würde. Schon da erklärte Senvion, auch "alle verfügbaren gerichtlichen als auch außergerichtlichen Reorganisationsoptionen" zu prüfen, was einen Insolvenzantrag mit implizierte. Seit Ende Februar laufen die Gespräche. Kurz zuvor hatte Senvion wegen Lieferschwierigkeiten die Prognose gesenkt und die Veröffentlichung des Jahresabschlusses verschoben. Auch ein Sanierungsgutachten wurde damals bereits in Auftrag gegeben.

Bereits einen Tag später, am Dienstag, kündigte Senvion dann den Insolvenzantrag an. Ein Schlupfloch ließ sich der Konzern dabei: Sollte es doch noch eine Einigung über die Finanzierung geben, wird der Prozess gestoppt. Das Unternehmen schreibt seit Jahren Verluste, verfügt zudem über eine schwache Kapitalbasis.

Eine Insolvenz käme zu einer Zeit, in der sich Windhersteller gerade dabei sind, nach einer zweijährigen Durststrecke wieder zu berappeln. Die Branche war zuvor durch den Boom bei erneuerbaren Energien heiß gelaufen. Doch 2017 stoppte Deutschland sein bisheriges Subventionsmodell mit festen Einspeisevergütungen und stellte auf ein Auktionsmodell um, andere europäische Staaten folgten. Damit brach der Bau neuer Windkraftanlagen in Deutschland nahezu komplett ein. Die Industrie litt zunehmend unter Wettbewerbs- und Preisdruck, die Gewinne brachen ein, Stellen wurden abgebaut und Werke geschlossen.

Dies traf Senvion nicht alleine. Doch andere große Konkurrenten hatten bereits im Vorfeld reagiert und eine Konsolidierung in der Industrie angestoßen. Siemens fusionierte sein Windkraftgeschäft mit der spanischen Gamesa, die Hamburger Nordex tat sich mit dem ebenfalls spanischen Hersteller Acciona zusammen. Die Windkrafthersteller suchten sich neue Märkte außerhalb des schwierigen deutschen Geschäfts, etwa in Nordamerika oder in Lateinamerika oder in Indien.

Auch bei Senvion sind die Auftragsbücher gut gefüllt, das Unternehmen konzentrierte sich ebenfalls vermehrt auf das Ausland. Jedoch hat Senvion auch mit operativen Mängeln zu kämpfen. Ein Problem, welches zu der Prognosesenkung im Februar führte, waren Lieferverzögerungen: So konnte Senvion bestellte Windanlagen nicht rechtzeitig ausliefern, was Strafzahlungen nach sich zog. Auch im Management herrschte Unruhe: Im Mai 2018 trat Unternehmenschef Jürgen Geißinger zurück, der zuvor einen harten Sanierungskurs gefahren hatte. Finanzchef Kumar Manav Sharma warf Ende Januar diesen Jahres hin.

Die chronisch dünne Kapitaldecke bremste zudem Investitionen aus. Dabei hatte sich Senvion erst im August über eine Kapitalerhöhung mehr als 62 Millionen Euro beschafft, die hauptsächlich von Mehrheitsaktionär Centerbridge gezeichnet wurde. Doch reichte dies nicht aus. Nach Informationen aus dem Unternehmen fehlen Senvion rund 100 Millionen Euro, um die Geschäfte weiterzuführen. Der US-Fonds Centerbridge hat dem Unternehmen den Angaben zufolge damit in den vergangenen neun Monaten 82 Millionen Euro bereitgestellt. Er ist bereit, sich an einer außergerichtlichen Sanierung zu beteiligen. Auch der Aufsichtsrat sowie wesentliche Kreditgeber und Anleihegläubiger unterstützen den Plan. "Erfolgsentscheidend" sei nun die Unterstützung von Kunden und Zulieferern, erklärte Senvion.

Das Unternehmen blickt ohnehin auf eine wechselhafte Vergangenheit zurück: Senvion hieß früher Repower und war unter diesem Namen bereits bis 2011 an der Börse. Der indische Suzlon-Konzern hatte Repower 2007 nach einem aufsehenerregenden Übernahmekampf gegen die französische Areva-Gruppe für 1,3 Milliarden Euro übernommen und später die verbliebenen Aktionäre herausgekauft.

Wegen finanzieller Schwierigkeiten verkauften die Inder Anfang 2015 den Windkraftbauer an die Investmentgesellschaften Centerbridge und Arpwood für rund eine Milliarde Euro. Diese brachten Senvion 2016 wieder auf das Parkett zurück - allerdings nur mit Ach und Krach, der Börsengang gelang erst im zweiten Anlauf und auch nur mit einer niedrigeren Preisspanne und einem geringeren Volumen.

DAS MACHT DIE AKTIE:

In den gut drei Jahren seines zweiten Börsenlebens hat die Senvion-Aktie kein Glück gebracht. Aktuell ist sie nahezu wertlos und zum Pennystock verkommen, am Tag des Insolvenzantrages sackte sie um mehr als 40 Prozent ab auf 0,65 Euro. Der Ausgabepreis lag beim Börsengang im März 2016 noch bei 15,75 Euro. Ein Rekordhoch erreichte das Papier im Oktober 2016 mit 16,71 Euro. Danach ging es mit wenigen Zwischenhochs nur noch abwärts. Zum Vergleich: Vorgänger Repower war 2002 zu 41 Euro an die Börse gegangen und notierte vor der Finanzkrise zeitweise über der Marke von 200 Euro.

Die Spirale nach unten beschleunigte sich im Mai vergangenen Jahres mit dem Rücktritt des damaligen Chefs Geißinger. Noch Mitte August platzierte Senvion eine Kapitalerhöhung zu 7,70 Euro je Aktie. Der ungebremste Fall von Senvion danach zeigte dabei bereits das Misstrauen der Investoren. Während Anleger bei der Konkurrenz um Nordex und Siemens Gamesa zuletzt wieder zugriffen, hielten sie bei Senvion Abstand.

So konnte vor allem die ebenfalls schwer gebeutelte Nordex punkten: Die Aktie legte in den vergangenen zwölf Monaten um mehr als 50 Prozent zu, in diesem Jahr konnte das Papier seinen Wert fast verdoppeln. Und auch bei Siemens Gamesa überwog zuletzt die Zuversicht: Stieg der Kurs in den letzten zwölf Monaten um 10 Prozent, konnten Anleger in diesem Jahr bereits auf ein Kursplus von gut 44 Prozent blicken.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Analysehäuser, die Senvion noch auf dem Schirm hatten, hatten bereits vor Monaten ihre Kursziele reihenweise gesenkt. Sie bevorzugen aktuell Siemens Gamesa, die die im dpa-AFX Analyser vertretenen Experten mehrheitlich zum Kauf empfehlen - vor allem wegen ihres starken Engagements im lukrativeren Markt für Windkraft auf See.

Bei Senvion war ihnen zuletzt vor allem die schwache Liquidität ein Dorn im Auge. Analysten von Berenberg hatten bereits mit der Prognosesenkung Ende Februar gewarnt, der schnelle Eintritt in neue Märkte berge auch ein Durchführungsrisiko - was Senvion mit seinen Lieferschwierigkeiten bestätigte. Sie bemängelten da bereits den lausigen Mittelzuwachs sowie die steigenden Sorgen über die Verschuldung.

Andreas Willi von JPMorgan erklärte ebenfalls im Februar, mit seiner schwachen Kapitalausstattung habe Senvion nicht die nötige Flexibilität, um das Steuer herumzureißen. Der Analyst ging damals davon aus, dass das Management auch einen Verkauf prüfen werde./nas/mne/jha/