(Neu: Kritik aus Kohlekommission im 7. Absatz, Reaktion Ministerpräsidenten im 8. Absatz)

BERLIN (dpa-AFX) - Deutschland steigt bis spätestens 2038 schrittweise aus der Kohle aus. Bundestag und Bundesrat stimmten am Freitag zwei zentralen Gesetzen zu. Sie sehen einen konkreten Fahrplan zur Stilllegung von Kohlekraftwerken und Strukturhilfen von 40 Milliarden Euro vor.

Das Geld soll den Kohleregionen in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg beim Umbau ihrer Wirtschaft sowie beim Ausbau der Infrastruktur helfen. Betreiber von Kohlekraftwerken sollen Milliardenentschädigungen für die vorzeitige Stilllegung ihrer Anlagen bekommen.

Vor anderthalb Jahren hatte eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission den Kohleausstieg bis spätestens 2038 vorgeschlagen. Kohlekraftwerke werden zwar ohnehin nach und nach vom Netz genommen, aber Klimaziele machen einen schnelleren Ausstieg notwendig. Eigentlich wäre erst in den späten 40er Jahren Schluss gewesen für die Kohleverstromung.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bezeichnete den Kohleausstieg als historisches "Generationenprojekt". Altmaier sagte im Bundestag, die Kohleverstromung werde bis spätestens 2038 rechtssicher, wirtschaftlich vernünftig und sozial verträglich beendet. "Das fossile Zeitalter in Deutschland geht mit dieser Entscheidung unwiderruflich zu Ende."

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) betonte: "Wir sind jetzt das erste Industrieland, das gleichzeitig aus Kohle und Atom aussteigt - und das auch nicht erst 2038, sondern jetzt." Der erste Block werde noch in diesem Jahr abgeschaltet, die acht dreckigsten Kraftwerke in den nächsten zwei Jahren. "Das ist wirklich etwas besonderes, das ist vor allen Dingen ein guter Tag für den Klimaschutz."

Scharfe Kritik kam dagegen von Grünen und Linken. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte, der Ausstieg komme viel zu spät. Die Bundesregierung sei an entscheidenden Stellen vom Konzept der Kohlekommission abgewichen. Ein Ausstieg sei aus Gründen des Klimaschutzes bis 2030 möglich und nötig. Das Projekt der Koalition sei "zukunftsvergessen". Der Linke-Energiepolitiker Lorenz Gösta Beutin sprach von einem "schwarzen Tag" für das Klima.

Auch Mitglieder der Kohlekommission distanzierten sich von dem Gesetz. Es sei "ein Verrat an den Menschen, deren Zuhause vom Braunkohle-Abbau und der Klimakrise bedroht ist", sagte die Vertreterin der Bewohner des rheinischen Braunkohlerevieres dem SWR. Weiterhin würden Dörfern für den Kohleabbau zerstört.

Die Ministerpräsidenten der Kohleländer verteidigten den Ausstiegs-Zeitplan. Er bilde das Machbare ab, sagte Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU). Es gehe darum, eine Volkswirtschaft am Leben zu erhalten und sich nicht einen "eigenen K.O.-Schlag" zuzufügen.

Die Länder hoffen, dass sie mit dem Geld vom Bund neue Strukturen in den Kohleregionen schaffen können. Unter anderem sollen Behörden und Forschungseinrichtungen etwa zur Wasserstofftechnologie angesiedelt werden, um neue Jobs zu schaffen.

Ein früherer Ausstieg aus der Kohleverstromung im Jahr 2030, 2032 oder 2034 sei immer noch denkbar, wenn die Versorgungssicherheit garantiert sei, ergänzte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Das komme vor allem dann in Betracht, wenn der Bau neuer Stromtrassen schneller vorangehe oder Speichermöglichkeiten Strom aus erneuerbaren Energien wettbewerbsfähiger machten.

Greenpeace-Aktivisten kletterten aus Protest gegen den aus ihrer Sicht zu laschen Zeitplan auf das Dach des Reichstagsgebäudes. Unter dem Schriftzug "Dem deutschen Volke" brachten sie ein großes Transparent mit der Aufschrift "Eine Zukunft ohne Kohlekraft" an. Der Kohleausstieg könne und müsse schneller gehen. In 50 Städten protestierten Gegner des Gesetzes, denen der Kohleausstieg ebenfalls nicht schnell genug geht, wie das Bündnis "Alle Dörfer bleiben" mitteilte.

Die Bundesregierung hat einen schnelleren Ausstieg bereits bis 2035 nicht ausgeschlossen. Regelmäßig soll untersucht werden, ob die Reduzierung der Kohleverstromung vorgezogen werden kann. In den Jahren 2026, 2029 und 2032 will sie aber auch die Folgen des Kohleausstiegs auf die Versorgungssicherheit und die Entwicklung der Strompreise überprüfen. Der Chef der Gewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, sprach von einer "historische Wegmarke" - mahnte aber, die Arbeit fange nun erst richtig an./hoe/DP/nas