MÜNCHEN (awp international) - Der Gasehersteller Linde steht bei der angepeilten Milliarden-Fusion mit dem US-Branchenriesen Praxair vor unerwarteten kartellrechtlichen Hürden. Linde fürchtet nun, dass die Wettbewerbshüter höhere Anforderungen stellen könnten, als bisher erwartet, wie das Unternehmen in der Nacht zum Sonntag in München mitteilte. Die im Dax notierten Linde-Aktie sackte in den ersten Handelsminuten um knapp zehn Prozent ab - damit rutschte das Papier auch auf Jahressicht ins Minus.

Viele Experten fürchten, dass die Transaktion jetzt doch noch, anders als zuletzt von den meisten Investoren angenommen, scheitern könnte oder zumindest die erhofften Spareffekte geringer ausfallen könnten. Der Zusammenschluss der beiden Gasekonzerne sei gefährdet, schrieb Commerzbank-Analyst Michael Schäfer in einer Studie. Baader-Bank-Experte Markus Mayer sieht eine sinkende Wahrscheinlichkeit für den Zusammenschluss. Optimistischer ist JPMorgan-Analyst Chetan Udeshi, der die regulatorischen Herausforderungen als beherrschbar ansieht.

Mit dem Zusammenschluss, der bis zum 24. Oktober perfekt sein muss, würde der weltgrösste Gasehersteller entstehen - noch vor dem französischen Konkurrenten Air Liquide . Noch stehen allerdings Freigaben wichtiger Kartellbehörden aus, unter anderem in den USA und in Europa. Die EU-Kommission hatte erst vor kurzem ihre Prüffrist abermals bis zum 24. August verlängert.

Linde und Praxair hatten bereits umfangreiche Verkäufe von Geschäftsteilen in die Wege geleitet, um Bedenken der Wettbewerbshüter auszuräumen. Für solche Verkäufe hatten die Fusionspartner eine Obergrenze von 3,7 Milliarden Euro Umsatzvolumen vereinbart. Mittlerweile gehen die beiden Branchengrössen allerdings davon aus, dass die US-Wettbewerbsbehörde FTC (Federal Trade Commission) "zusätzliche Veräusserungszusagen" erwartet, mit denen die selbstgesetzte 3,7-Milliarden-Obergrenze überschritten werden könnte.

Linde erwäge daher inzwischen weitere Verkäufe in den USA, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg am Montag mit Bezug auf mit der Sache vertraute Personen. Dabei gehe es um die Trennung vom Bereich Spezialgase sowie vom sogenannten Onsite-Geschäft, bei dem Anlagen direkt beim Kunden installiert sind. Es sei aber noch keine Entscheidung getroffen worden. Der Wettbewerber Messer Group und der Finanzinvestor CVC hätten Interesse angemeldet - mit beiden hatte sich Linde bereits im Juli auf einen Verkauf anderer Teile des Gasegeschäfts geeinigt. Ein Sprecher von Linde wollte den Bloomberg-Bericht auf Nachfrage nicht kommentieren. Trotzdem konnte die Linde-Aktie ihren Verlust bei Handelsschluss auf siebeneinhalb Prozent eindämmen.

"Das ist nicht das Ende", heisst es unterdessen zu der neuen Entwicklung in Branchenkreisen. Allerdings trete der Fusionsprozess durchaus in eine kritische Phase, denn für die Vollendung des Zusammenschlusses haben beide Partner nur noch weniger als drei Monate Zeit. Bis 24. Oktober muss die Fusion unter Dach und Fach sein, dann läuft die vom Wertpapiergesetz vorgegebene Frist aus.

Linde und Praxair analysieren nun die Erwartungen der Kartellwächter, "um deren Reichweite einzuschätzen und zu bewerten, inwieweit sie sich schnell genug umsetzen liessen, um eine rechtzeitige Freigabe des Zusammenschlusses zu erreichen", heisst es in der Mitteilung weiter. "Die Gespräche mit der FTC über die erforderlichen Veräusserungszusagen werden mit dem Ziel fortgesetzt, ein für die Beteiligten akzeptables Ergebnis zu erreichen."

Der deutsche Traditionskonzern und Praxair wollen sich zum grössten Industriegasehersteller der Welt zusammenschliessen. Mit 80 000 Mitarbeitern und 28 Milliarden Euro Jahresumsatz würden sie ein Viertel des Weltmarkts beherrschen. Praxair ist Marktführer in den USA, Linde ist stark in Europa und Asien, im US-Medizingeschäft und im Anlagenbau. Das Unternehmen soll von Praxair-Chef Steve Angel aus den USA heraus geführt werden. Die Aktionäre haben bereits zugestimmt. Deswegen kann die Fusion nur noch an zu hohen Auflagen oder dem Veto der Kartellbehörden scheitern.

Neben den Amerikanern sind auch die Europäer skeptisch: Es gebe Bedenken, dass der Wettbewerb auf dem Markt für mehrere wichtige Gase, darunter Sauerstoff und Helium, beeinträchtigt werden könne, hatte die EU-Kommission zum Start der - mittlerweile mehrmals verlängerten - vertieften Prüfung mitgeteilt.

"Gase wie Sauerstoff und Helium kommen bei der Herstellung einer Vielzahl von Produkten, die wir tagtäglich verwenden, zum Einsatz. Die Hersteller beziehen diese Gase von einer geringen Zahl von Anbietern." Die beiden Unternehmen liefern etwa medizinischen Sauerstoff, mit dem Krankenhäuser und Pflegeheime versorgt werden./kf/DP/tos/he