FRANKFURT (dpa-AFX) - Ein möglicher Stolperstein bei der Fusion mit Praxair hat am Montag die Linde-Anleger schlagartig in die Flucht getrieben. Am Vormittag sackten die im Dax notierten Papiere, die von Investoren bereits zum Umtausch für die Zusammenlegung eingereicht wurden, um fast 10 Prozent auf 189,80 Euro ab. Im Tief bedeuteten 189 Euro den tiefsten Stand seit Anfang Mai.

Grund für die Angst der Anleger war, dass der Gasehersteller bei der angepeilten Milliarden-Fusion mit dem US-Branchenriesen Praxair vor unerwarteten kartellrechtlichen Hürden steht. Linde fürchtet, dass die Wettbewerbshüter höhere Anforderungen stellen könnten als bisher erwartet. Experten halten es für möglich, dass die von vielen Investoren als gesichert angenommene Transaktion doch noch scheitern könnte.

Die Risiken für einen Erfolg des Zusammenschlusses und für den bisherigen Zeitplan nähmen angesichts der überraschenden Entscheidung zu, schrieb Analyst Martin Rödiger von Kepler Cheuvreux in einer Studie. Der Experte setzt bei der Bewertung nur noch eine Wahrscheinlichkeit von einem Drittel an, weshalb er die Aktie in einer schnellen Reaktion von "Buy" auf "Reduce" abstufte und das Kursziel von 208 auf 188 Euro senkte.

"Tatsächlich werden die höheren Anforderungen der Kartellwächter wahrscheinlich die Schwelle überschreiten, die sich Linde und Praxair gesetzt hatten", warnte Hans-Peter Wodniok vom Analysehaus Alphavalue. Linde und Praxair haben sich einen Rückzieher von der Fusion vorbehalten für den Fall, dass sie Teile mit mehr als 3,7 Milliarden Euro Umsatz oder 1,1 Milliarden Euro an operativem Gewinn (Ebitda) abgeben müssten. Ob die beiden Fusionspartner sich darauf einlassen, bleibt laut Wodniok abzuwarten.

Laut dem Baader-Bank-Experten Markus Mayer dürfte nun die Bewertung von Linde als alleinstehendes Unternehmen wieder mehr in den Fokus rücken. Seiner Kalkulation zufolge liegt dieser Wert zwischen 180 und 220 Euro je Aktie. Mit 190 Euro wird die Aktie nach dem Kursrutsch am Montag schon in diesem Bereich gehandelt, sodass der Markt ein Scheitern im Vergleich zu seinen Berechnungen schon einzupreisen scheint.

Im Falle einer abgesagten Fusion sieht sein Kollege Knud Hinkel aber die Gefahr, dass sich die Papiere dem Kurs der noch nicht angedienten Aktien nähern, die aktuell bei 173 Euro gehandelt werden. Am Montag beträgt ihr Minus lediglich 3,5 Prozent, also deutlich weniger als die im Dax gelisteten Umtausch-Papiere.

Einige Investoren scheinen hier in den vergangenen Wochen schon eine Vorahnung gehabt zu haben. Dies suggeriert jedenfalls ein Vergleich der Kursentwicklung beider Gattungen, deren Differenz in den vergangenen Wochen kleiner geworden ist. Zum Freitagsschluss wurden die zum Umtausch eingereichten Aktien nur noch etwa 30 Euro höher gehandelt. Mitte Juli, als sie ihr bisheriges Hoch bei knapp 220 Euro erreicht hatten, war diese Differenz noch ungefähr 10 Euro größer.

Einige Experten machen Anlegern aber noch Mut: Baader-Analyst Mayer etwa rechnet nach wie vor damit, dass die Fusion am Ende zustande kommt. Sein Kollege Chetan Udeshi von JPMorgan hält die regulatorischen Herausforderungen für beherrschbar. Selbst in dem Falle, dass Linde sein US-Gasegeschäft vollständig verkaufen müsste, würden die von beiden Unternehmen gesetzten Obergrenzen vermutlich nur wenig überschritten, schrieb der Experte.

Sollte es zu einem Kompromiss kommen, droht dies aber, an den erhofften Vorteilen zu zehren. "Je mehr verkauft werden muss, desto mehr wird es den Gewinn eines fusionierten Unternehmens belasten", sagte der Alphavalue-Experte Wodniok. Auch hier macht Mayer von der Baader Bank aber vorsichtig Hoffnung: "Der geringere Synergieeffekt kann durch eine stärker als bisher gedachte Erholung am Markt für Industriegase abgefedert werden", so der Experte./tih/mne/she