- von Edward Taylor und Christoph Steitz und Tom Käckenhoff

Stattdessen soll nun die bislang als unantastbar geltende Aufzugssparte über die Börse teilweise versilbert werden. Kerkhoff will so wieder in die Offensive kommen. "Es ist Zeit, den 'Reset'-Knopf für die Strategie zu drücken. Ohne Tabus und unter Anerkennung der neuen Realitäten", erklärte der Manager. Dazu gehört auch der Abbau von 6000 Stellen, zwei Drittel davon in Deutschland. Kündigungen sind nicht ausgeschlossen. Über seine eigene Zukunft wollte Kerkhoff, der noch kein Jahr auf dem Chefsessel sitzt, nicht spekulieren.

Das Echo der Arbeitnehmervertreter kam umgehend. Vize-Aufsichtsratschef Markus Grolms sprach von einem "Hammer". "Wir sind zu Veränderungen bereit. Aber ein personeller Kahlschlag ist mit uns nicht zu machen", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters, die zuerst über den bevorstehenden Strategieschwenk des Industriekonzerns berichtet hatte. Grolms nahm den Vorstand direkt aufs Korn, der den Mitarbeitern der Konzernzentrale in Essen die Aufspaltungspläne in einem eigens aufgestellten Kneipen-Container nahe bringen wollte. "Es ist schon enttäuschend, wenn von der Strategie des Vorstands am Ende nur die Kneipe in der Konzernzentrale überbleibt. Deshalb muss ein klarer Weg nach vorne beschrieben werden."

INVESTOR: "DIE RICHTIGE ENTSCHEIDUNG"

An der Börse wurden die Pläne dagegen gefeiert. Die zuletzt arg gebeutelte Thyssen-Aktie legte am Freitag zeitweise 21 Prozent zu und war damit größter Dax-Gewinner. "Das ist eine massive Kehrtwende, die Thyssenkrupp vollzieht, die aber die richtige Entscheidung ist", sagte Deka-Investmentexperte Ingo Speich. "Der wichtigste Punkt ist: man hat die Möglichkeit, über das große Gebilde mehr aktives Portfoliomanagement zu betreiben, was sie jetzt damit ankündigen. Das hätten sie über die zwei kleineren Einheiten nicht gehabt."

Kerkhoff zeigte sich zuversichtlich, dass der Aufsichtsrat den Plänen auf seiner Sitzung am 21. Mai zustimmt. Diese sehen den Börsengang eines Minderheitsanteils der Aufzugssparte im nächsten Geschäftsjahr (ab Oktober) vor. Für Sparten wie dem Anlagenbau, der Werftentochter und dem Geschäft mit Autoteilen könnten Partner ins Boot geholt werden. "Unseren Erfolg messen wir künftig daran, dass sich die Geschäfte bestmöglich entwickeln – nicht zwingend daran, dass sie uns mehrheitlich gehören", sagte Kerkhoff. Diese Vorgehensweise erinnert an die Strategie, die Vorstandschef Joe Kaeser bei Siemens verfolgt.

CEVIAN MACHT WEITER DRUCK

Der schwedische Finanzinvestor Cevian, der rund 18 Prozent der Thyssenkrupp-Anteile hält, dürfte Kerkhoff aber weiter Beine machen. "Es ist klar, dass Thyssenkrupp mit seiner bisherigen Strategie gescheitert ist", sagte Gründungspartner Lars Förberg. Alle Beteiligten seien sich bewusst, dass eine fundamentale Neuausrichtung dringend notwendig sei, um den Geschäftssparten von Thyssenkrupp eine Zukunft zu geben. "Es darf keine historischen oder politischen Tabus mehr geben, wenn Thyssenkrupp die langjährige Underperformance ernsthaft angehen und die Geschäfte zurück auf Wachstumskurs bringen will."

Die Krupp-Stiftung, die mit 21 Prozent größer Einzelaktionär ist, betonte: "Die Stiftung möchte, dass das Unternehmen in allen Geschäftsfeldern wettbewerbsfähig aufgestellt ist, mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen und einer nachhaltigen Dividendenfähigkeit." Vor diesem Hintergrund werde die Stiftung die neuen Vorschläge bewerten. "Die Stiftung steht nach wie vor an der Seite des Unternehmens und seiner Mitarbeiter."

JAHRESVERLUST ERWARTET

Kerkhoff machte deutlich, dass er die Stahlfusion mit Tata nach wie vor für richtig gehalten hätte, aber eben nicht um jeden Preis. Gegen das Vorhaben hatte die EU-Kommission wettbewerbsrechtliche Bedenken angemeldet und Zugeständnisse gefordert, die Thyssen und Tata offenbar nicht erfüllen wollten. Was die ursprünglich geplante Thyssen-Aufspaltung in einen Industriegüter- und einen Werkstoffkonzern angeht, betonte Kerkhoff, dies sei wegen der Konjunkturabkühlung und der Geschäftsentwicklung nicht mehr realistisch gewesen. Nun ruht alle Hoffnung auf der Aufzugsparte: "Elevator ist unser wertvollstes Geschäft. Und es gehört zu den unangenehmen Wahrheiten, dass die Aufzugsparte sogar deutlich höher bewertet wird als das ganze Unternehmen Thyssenkrupp an der Börse insgesamt." Der Konzern kommt im Moment auf rund sieben Milliarden Euro.

Die abgesagte Stahlfusion vermasselt Thyssenkrupp auch die Jahresbilanz, denn die erwarteten Buchgewinne fallen aus. Deshalb strich Kerkhoff nun auch die Prognose für das laufende Geschäftsjahr zusammen: Der Konzern rechnet nun inklusive des Stahlbereichs, der im dritten Quartal wieder eingegliedert wird, mit einem bereinigten operativen Ergebnis (Ebit) von 1,1 bis 1,2 Milliarden Euro. Unter dem Strich erwartet ThyssenKrupp in diesem Jahr Verluste. Die ausführlichen Zahlen des zweiten Geschäftsquartals werden am Dienstag erwartet.