AMSTERDAM (dpa-AFX) - Eine in der Corona-Krise deutlich gestiegene Risikovorsorge für Kreditausfälle sowie Abschreibungen auf zuletzt gekaufte Unternehmen haben den Gewinn der niederländischen Großbank ING einbrechen lassen. Der seit Juli amtierende Konzernchef Steven van Rijswijk betonte aber am Donnerstag in einer Telefonkonferenz, dass die Risikokosten im zweiten Halbjahr sinken dürften, sollte sich die wirtschaftliche Lage nicht gerade verschlimmern. Analysten lobten zudem die Geschäftsentwicklung im abgelaufenen zweiten Quartal. Für die Aktie ging es am Donnerstag nach oben.

Die Papiere legten am Nachmittag an der Spitze des Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 um zuletzt 4,1 Prozent auf 6,41 Euro zu. Allerdings blieben sie damit in ihrer jüngsten Spanne von rund 6,00 bis 6,50 Euro. Im Zuge des Corona-Crashs waren sie im März bis auf 4,23 Euro gesackt.

Trotz der jüngsten Erholung kosten die Anteilsscheine immer noch rund ein Drittel weniger als vor dem Crash-Beginn im Februar. Das reicht dann auch nur für einen Platz im Mittelfeld des europäischen Branchenindex Stoxx Europe 600 Banks. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 25 Milliarden Euro ist die ING allerdings an der Börse mehr wert als Deutsche Bank und Commerzbank zusammen.

Unter dem Strich blieben im zweiten Quartal mit 299 Millionen Euro knapp 80 Prozent weniger hängen als vor einem Jahr, wie die Bank in Amsterdam mitteilte. Allein für faule Kredite legte das Geldhaus rund 1,3 Milliarden Euro auf die Seite - mehr als sechs mal so viel wie vor einem Jahr. Allerdings überraschte das angesichts der Corona-Krise, die vielen Unternehmen und Menschen finanziell zu schaffen macht, nicht wirklich.

Analyst Thomas Dewasmes von Goldman Sachs sprach in einer ersten Reaktion von einer etwas besser als gedachten Gewinnentwicklung trotz höher als erwarteter Wertberichtigungen. So hatte die ING bereits Ende Juli Abschreibungen von rund 300 Millionen Euro auf zuletzt zugekaufte Unternehmen angekündigt.

Von der 1,3 Milliarden Euro schweren Risikovorsorge für Darlehen entfiel der Großteil auf das Geschäft mit großen und mittelgroßen Firmenkunden. In dem fiel denn auch ein Vorsteuerverlust von 302 Millionen Euro an, wovon mehr als ein Drittel auf das Deutschland-Geschäft zurückging.

Im deutschen Privatkundengeschäft, zu dem auch Österreich dazu gezählt wird, konnte die Bank den Gewinn vor Steuern hingegen sogar leicht steigern, und zwar auf 262 Millionen Euro. Sie profitierte dabei vom regen Börsenhandel der Kunden, die im Zuge der Aktienmarkterholung der letzten Monate sehr aktiv waren. Zudem gewann die ING 134 000 neue Kunden, so dass die Marke von zwei Millionen Primärkunden im deutschen Privatkundengeschäft geknackt wurde.

Die Erträge im gesamten Deutschlandgeschäft stiegen denn auch um fast sechs Prozent auf 691 Millionen Euro. Auf Konzernebene hielt die ING die Erträge mit rund 4,7 Milliarden Euro im Jahresvergleich stabil. Neben den Gebühren für den Börsenhandel durch Privatkunden stütze dabei auch die Nachfrage von Firmenkunden nach Finanzdienstleistungen etwa rund um Zins- und Währungsabsicherungsgeschäfte sowie Investmentgeschäfte.

Konzernchef van Rijswijk betonte zudem den Fokus auf die Kostenkontrolle, die vom Online-Geschäftsmodell profitiere. Dieses habe in der Krise auch im Kontakt mit den Kunden geholfen. Der Manager ist zwar erst im Juli auf den Chefposten gewechselt, blickt aber auf eine gut 25jährige Erfahrung im Konzern zurück. So war er unter anderem im Fusions- und Übernahmegeschäft sowie im Wertpapierbereich tätig, bevor er 2017 in den Vorstand aufrückte. Dort war er zuletzt für das Risikomanagement des Konzerns zuständig gewesen./mis/men/jha/