BERLIN (dpa-AFX) - Fast alles dreht sich eigentlich um ihn. Doch Ex-Kanzler Gerhard Schröder muss sich gedulden, bis er an die Reihe kommt. Die Mitglieder des Bundestags-Wirtschaftsausschusses fragen zunächst andere Experten bei einer Anhörung zum Pipeline-Projekt Nord Stream 2 - Anlass sind drohende weitere Sanktionen der USA. Schließlich ist es der Ausschussvorsitzende Klaus Ernst (Linke), der Schröder nach seiner Einschätzung fragt. Und der frühere Bundeskanzler legt los.

Mit Blick auf Kritik an seinem Auftritt sagt der 76-Jährige: "Ich bin nicht hier, um zu politisieren, sondern weil Sie mich eingeladen haben." Sein Respekt vor dem Parlament sei immer noch so groß, dass er die Einladung angenommen habe. Dann geht es um die Sache an diesem Mittwoch in Berlin: Die USA haben bereits Sanktionen gegen Nord Stream 2 verhängt, im US-Kongress aber gibt es Pläne für weitere, schärfere Sanktionen. Das könnte nicht nur das Projekt hart treffen.

Schröder sieht in neuen US-Sanktionen wie auch andere die anderen Sachverständigen etwa von Wirtschaftsverbänden einen schweren Schlag gegen die Souveränität Deutschlands und Europas. Über 120 Unternehmen aus Deutschland und Europa, die mit Nord Stream 2 arbeiten oder gearbeitet haben, wären dann betroffen, Milliardeninvestitionen bedroht.

Auch Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, sagt, die USA versuchten das Projekt zu stoppen. Über die Pipeline 2 soll Gas von Russland nach Deutschland gebracht werden, die USA warnen vor einer Abhängigkeit Deutschlands von Russland. Schröder weist den Vorwurf zurück, Nord Stream 2 gefährde die Versorgungssicherheit Deutschlands, das Gegenteil sei der Fall.

Er ist aber nicht nur als Ex-Kanzler in den Ausschuss gekommen, sondern auch als Präsident des Verwaltungsrates der Nord Stream 2 AG

- ein umstrittener Posten. Bei der AG ist der russische Konzern

Gazprom formal einziger Anteilseigner, dazu kommen als "Unterstützer" andere Konzerne. Der Posten bringt Schröder in der Sitzung den Vorwurf des FDP-Abgeordneten Reinhard Houben ein, er sei ein "Kreml-Lobbyist".

Überhaupt ist die Einladung des Ex-Kanzlers (1998-2005) durch den Ausschussvorsitzenden Ernst umstritten. Ernsts Fraktionskollege Lorenz Gösta Beutin sprach von einem "unnötigen Eigentor". Und auch in der SPD ist hinter vorgehaltener Hand Kritik zu vernehmen.

Schröder aber lässt so etwas an sich abperlen - und spricht sich für eine härtere Gangart gegenüber den Vereinigten Staaten aus. Die Bundesregierung müsse auf EU-Ebene Druck machen, damit Gegensanktionen erarbeitet würden. Eine Position, die von anderen Sachverständigen nicht geteilt wird, es drohe eine Sanktionsspirale.

Schröder aber meint, man dürfe nicht schon vorher die Flinte ins Korn werfen. Auf die Frage eines Abgeordneten, wie die Russen auf neue US-Sanktionen reagieren könnten, will er nicht antworten. Und wie genau könnten Gegensanktionen der Europäischen Union aussehen? Dafür sei er kein Experte, das sei Sache der operativen Politik, in der er nicht mehr sei -"was ich nur begrenzt bedauere", sagt Schröder.

Nach zwei Stunden ist die Expertenanhörung beendet, Schröder geht danach aber nicht vor die wartendenden Kamerateams. Er hält noch einen kurzen Plausch mit Abgeordneten seiner Partei SPD, dann verschwindet er im Fahrstuhl, zusammen mit seiner Ehefrau Soyeon Schröder-Kim - sie hat den Auftritt ihres Mannes auf der Zuschauertribüne verfolgt./hoe/DP/jha