FRANKFURT/LONDON (dpa-AFX) - Die Verschiebung der Abstimmung über das Brexit-Abkommen im britischen Parlament hat zu heftigen Ausschlägen an den Finanzmärkten gesorgt. So gab das britische Pfund zu allen wichtigen Währungen deutlich nach. Unter Druck geriet auch der Aktienmarkt, während britische Anleihen als sichere Alternativen gefragt waren.

Premierministerin Theresa May hat die Abstimmung über das Brexit-Abkommen im britischen Parlament verschoben. Die Entscheidung war eigentlich für den Dienstag geplant. May will nun mit ihren Amtskollegen aus den EU-Staaten und den Spitzen der Europäischen Union nachverhandeln. Britische Staatsanleihen profitierten von der wachsenden Verunsicherung. Die Forderungen nach einem zweiten Referendum über einen Austritt aus der EU nehmen zu.

Besonders deutlich waren die Kursverluste beim britischen Pfund. Die britische Währung fiel zeitweise bis auf 1,1004 Euro. Dies ist der niedrigste Stand seit August. Auch zum US-Dollar gab das Pfund deutlich nach und erreichte mit 1,2507 Dollar den niedrigsten Stand seit April 2017. Aber auch der Euro gab zu anderen Währungen nach, da auch der Handel der Eurozone durch einen harten Brexit betroffen wäre.

Am Londoner Aktienmarkt gab der FTSE 100 0,83 Prozent auf 6721,54 Zähler nach. Die Kursverluste hielten sich jedoch im europäischen Vergleich in Grenzen, da die Aktien durch das schwache Pfund gestützt wurden. Gesucht waren hingegen britische Staatsanleihen. Die Rendite zehnjähriger britischer Staatsanleihen fiel im Gegenzug um 0,07 Prozentpunkte auf 1,19 Prozent.

Nach Einschätzung von Capital Economics ist die Wahrscheinlichkeit für einen Austritt ohne eine Einigung merklich gestiegen. Die EU dürfte kaum ein Interesse haben, das bisherige Abkommen grundsätzlich neu zu verhandeln, kommentierte Ökonomin Ruth Gregory. Daher sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass das Parlament einer Einigung zustimmen werde. Diese dürfte laut Gregory bei rund 40 Prozent liegen. Die Unsicherheit um den Brexit dürfte die britische Wirtschaft noch stärker als bisher belasten.

"Bemerkenswerterweise hat die Premierministerin kein neues Datum für die Abstimmung über das Rücktrittsabkommen genannt, wenn dieses morgen nicht stattfindet", kommentierte Commerzbank-Ökonom Peter Dixon. Eine Abstimmung vor Weihnachten sei höchst unwahrscheinlich. Dixon erwartet vielmehr, dass die Verhandlungsfrist mit der EU verlängert wird. Er vermutet, dass die Regierung dann versuchen werde, eine ähnliche Regelung wie Norwegen zu finden, um den uneingeschränkten Zugang zum Binnenmarkt zu erhalten. "Allerdings müsste Großbritannien dafür die vier Freiheiten des Binnenmarktes akzeptieren und die Regulierungen der EU ohne Mitsprache akzeptieren."

Vergleichsweise optimistisch äußerte sich Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, der trotz der aktuellen politischen Turbulenzen eine Einigung zwischen der EU und Großbritannien prognostiziert. "Ich erwarte, dass sich die Vernünftigen im britischen Parlament durchsetzen werden", sagte der Ökonom. Er könne sich vorstellen, das Großbritannien wie Norwegen im Binnenmarkt verbleibe. Sogar eine weitere Mitgliedschaft in der EU sei vorstellbar. Die Wahrscheinlichkeit für einen Brexit ohne Einigung liege bei lediglich zehn Prozent./jsl/men