LÜBECK (dpa-AFX) - War der Medizin- und Sicherheitstechnikkonzern Drägerwerk noch bis vor kurzem nur wenigen bekannt, steht er seit der Coronavirus-Krise weltweit im Fokus. Staatsoberhäupter melden sich jetzt bei Konzernchef Stefan Dräger. Denn die Lübecker stellen neben Anästhesiegeräten, Patientenmonitoren und Atemschutzmasken auch lebenswichtige Beatmungsgeräte her. Das Geschäft boomt und Drägerwerk will die Produktionskapazitäten deutlich erhöhen. Frisches Geld dafür hat sich das Lübecker Unternehmen bereits über eine Kapitalerhöhung beschafft. Die wichtigsten Punkte für das Unternehmen, was die Experten sagen und wie es für die Aktie läuft.

DAS IST LOS BEI DRÄGERWERK:

Das 1889 gegründete Familienunternehmen Drägerwerk arbeitet bereits seit Jahren an der eigenen Profitabilität. Erst im September einigten sich Vorstand und Betriebsrat auf einen Sparplan, da sich die Geschäfte nur mäßig entwickelten. Die Beschäftigten verzichten die nächsten drei Jahre auf Tariferhöhungen, dafür sollen in den kommenden vier Jahren keine deutschen Standorte geschlossen werden und es keine betriebsbedingten Kündigungen geben.

Der Ausblick von Großaktionär und Unternehmenschef Stefan Dräger auf das Jahr 2020 Anfang März fiel noch entsprechend verhalten aus. Vor dem Hintergrund zunehmender Risiken prognostizierte er ein währungsbereinigtes Umsatzwachstum von einem bis vier Prozent. Davon sollten wiederum ein bis vier Prozent als operativer Gewinn hängen bleiben. Rund einen Monat später sah die Lage aber schon ganz anders aus.

Denn seit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie zählt Drägerwerk zu den gefragtesten Unternehmen weltweit. Der Konzern stellt neben Monitoren zur Patientenbeobachtung und Atemschutzmasken vor allem stark nachgefragte Beatmungsgeräte her. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz oder der niederländische König Willem-Alexander - Stefan Dräger hat sie derzeit alle am Telefon. Das Unternehmen kann sich die Aufträge aussuchen und muss notgedrungen sogar viele absagen, wie der Vorstandschef in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" verriet.

Von der Bundesregierung erhielt Drägerwerk Mitte März einen Auftrag über 10 000 Beatmungsgeräte. Die Abwicklung des Auftrages soll sich über das ganze Jahr erstrecken. Eine noch größere Menge der Beatmungsgeräte will Drägerwerk ins Ausland liefern. Dazu baut das Unternehmen die Produktionskapazitäten in Lübeck erheblich aus, wo es die Beatmungsgeräte exklusiv produziert. Am Ende werde der Medizintechnikkonzern seine ursprünglichen Kapazitäten vervierfacht haben, sagte Dräger der Zeitung "Die Welt".

Wegen des enormen Bedarfs an Atemschutzmasken stampft Dräger zudem eine Fertigung in den USA aus dem Boden. Der Konzern soll sogenannte FFP-Masken im höheren zweistelligen Millionenbereich an das US-Gesundheitsministerium liefern. Die Schutzmasken will das Unternehmen innerhalb der nächsten 18 Monate ausliefern. Die neue Fertigungsstätte, die an der Ostküste der USA entsteht, soll im September den Betrieb aufnehmen. Ein solches Modell wäre auch in anderen Ländern möglich, besonders in Europa, sagte Dräger-Vorstand Rainer Klug. Entsprechende Angebote würden gerade mit mehreren Ländern diskutiert.

Im ersten Quartal 2020 konnte Drägerwerk wegen der vielen Bestellungen den Auftragseingang mit 1,4 Milliarden Euro im Jahresvergleich mehr als verdoppeln. Das Unternehmen zeigte sich somit für das Gesamtjahr optimistischer: Der bisherige Geschäftsverlauf eröffne Chancen auf ein deutlich höheres Umsatz- und Ergebnisniveau, hieß es Mitte April. Der Umsatz legte im ersten Jahresviertel um gut sieben Prozent auf rund 640 Millionen Euro zu. Den Verlust vor Zinsen und Steuern (Ebit) konnte das Unternehmen deutlich von 10,7 auf 0,6 Millionen Euro reduzieren.

Um den Auftragsboom finanzieren zu können, hat sich Drägerwerk erst vor kurzem frisches Geld am Kapitalmarkt besorgt. Die Platzierung von einer Million neuer Vorzugsaktien brachte Drägerwerk einen Bruttoerlös von 76,5 Millionen Euro ein. Zudem will das Unternehmen auch die beiden letzten Serien von Genussscheinen zu einem Wert von insgesamt rund 157 Millionen Euro zurückkaufen. Im März hatte Drägerwerk bereits den größten Teil seiner Genussscheine gekündigt.

Diese Transaktion soll dazu führen, dass der Nettogewinn je Stamm- und Vorzugsaktie nach der Kapitalerhöhung um rund fünf Prozent steigt. Denn Genussschein-Inhaber erhalten das Zehnfache der Dividende einer Vorzugsaktie. Bereits 2012 hatte Drägerwerk einen Anlauf unternommen, seine Genussscheine vom Markt zurückzukaufen. Damals konnte das Unternehmen gut 40 Prozent von diesen erwerben.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die meisten Experten raten nach den deutlichen Kursgewinnen der vergangenen Wochen, die Aktien des Medizintechnikkonzerns zu halten. Nach Ansicht von Oliver Reinberg vom Analysehaus Kepler Cheuvreux gehört Drägerwerk zu den wenigen Profiteuren der Corona-Krise. Die positiven Aspekte dürften sogar stärker ausfallen, als bislang erwartet.

DZ-Bank-Analyst Sven Kürten sieht die Chancen in der Krise für Drägerwerk zwar auch. Aber trotz des steigenden Absatzes von Atemschutzmasken und Beatmungsgeräten werde der Konzern im kleineren Geschäftsbereich mit der Sicherheitstechnik mit vielen Kunden aus der Rohstoff- und Chemieindustrie leiden.

Vor der Krise habe das Geschäft mit Atemschutzmasken nur etwa 0,3 Prozent des Drägerwerk-Umsatzes ausgemacht, so Kürten. Nun könne sich dieses Segment kaum vor Aufträgen retten, die Umsätze dürften sich vervielfachen. Den Auftragswert von der Bundesregierung über 10 000 Beatmungsgeräte schätzte er auf rund 200 Millionen Euro.

Der operative Gewinn (Ebit) des Medizintechnikherstellers sei im ersten Quartal besser als von ihm erwartet ausgefallen, schrieb zudem Warburg-Analyst Eggert Kuls in einer jüngsten Studie. Angesichts des zuletzt massiven Anstiegs bei den Aufträgen könnte seine bisherige Umsatzschätzung für das laufende Jahr um weitere zehn Prozent angehoben werden. Die Kapitalerhöhung kam für Kuls nicht überraschend.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Corona-Krise hat den Aktienkurs von Drägerwerk geradezu zu neuem Leben erweckt. Bis Anfang März war dieser monatelang unterhalb von 60 Euro vor sich hin gedümpelt. Den am 24. Februar einsetzenden weltweiten Börsen-Crash überstanden die Papiere so gut wie unbeschadet. Ende Februar und Anfang März stieg der Kurs dann in nur zwei Tagen in der Spitze um rund 30 Prozent. Zu diesem Zeitpunkt kamen erste Spekulationen auf, dass das Unternehmen ein Profiteur der Pandemie sein könnte.

Mitte März nahm der Kurs dann richtig Fahrt auf. An nur zwei Tagen verdoppelte er sich in der Spitze nahezu auf fast 100 Euro. Der Auftrag der Bundesregierung sorgte für regelrechte "Kaufpanik" an der Börse. Diese Gewinne konnte die Aktie allerdings in den folgenden Tagen nicht ganz halten.

Den dritten Aufwärtsschub erlebten die Papiere Ende März, als es in drei Tagen um fast 37 Prozent auf 108,50 Euro in der Spitze nach oben ging. Das war zugleich der höchste Kurs seit fast fünf Jahren. Im Frühjahr 2015 hatten die Aktien mit 123,70 Euro den bislang höchsten Stand ihrer Börsengeschichte erreicht. Anschließend ließ die Euphorie jedoch merklich nach. Mit Kursen um 75 Euro handelten die Aktien zuletzt wieder fast ein Drittel unter dem Hoch von Ende März.

Damit summiert sich das Plus seit dem Start des Corona-Crashs im Februar aber immer noch auf fast 37 Prozent. Damit zählt die Drägerwerk-Aktie im Dax, MDax und SDax neben Shop Apotheke, Teamviewer, Hellofresh und Zooplus zu den fünf großen Gewinnern in dieser Zeit./mne/ben/kro/zb