FRANKFURT (dpa-AFX) - Was tut sich am deutschen Markt für Börsengänge (IPOs)? Die wichtigsten Neuzugänge, was die Experten sagen und warum Deutschland im internationalen Vergleich zurückliegt:

DAS PASSIERT AM DEUTSCHEN IPO-MARKT

Der deutsche Markt für Börsengänge nimmt mit milliardenschweren Deals Fahrt auf. An diesem Freitag will sich die Vemögensverwaltungstochter DWS der Deutschen Bank aufs Parkett wagen, und bereits Ende letzter Woche feierte die Medizintechnik-Sparte Healthineers des Industriekonzerns Siemens einen soliden Börsen-Einstand: Schon der erste Kurs lag mit 29,10 Euro um knapp 4 Prozent über dem Ausgabepreis von 28 Euro, und zum Handelsschluss stand sogar ein noch höherer Kurs von 30,20 Euro auf der Anzeigetafel. An diesem Dienstag zogen die Aktien weiter an. Die Münchener hatten durch die Platzierung von 15 Prozent ihrer Tochter immerhin gut 4 Milliarden Euro eingenommen.

Damit hoffen die Anleger auch auf einen erfolgreichen Börsengang der DWS. Die Deutsche Bank will zunächst 20 Prozent ihrer Tochter an den Markt bringen. Der Preis soll sich in einer Spanne von 30 bis 36 Euro je Aktie bewegen. Im besten Fall wird die Transaktion dem Finanzkonzern damit 1,8 Milliarden Euro in die Kasse spülen. Im sogenannten "Handel per Erscheinen" beim Broker Lang & Schwarz notierten die DWS-Papiere zuletzt bei rund 34 Euro. Beim "Handel per Erscheinen" werden Termingeschäfte getätigt, die nur dann abgewickelt werden, wenn der Börsengang tatsächlich stattfindet.

DAS SAGEN DIE EXPERTEN

"Der milliardenschwere Börsengang von Healthineers war eine Leuchtturm-Transaktion", sagte Ralf Darpe, Leiter Kapitalmarktgeschäft der französischen Bank Societe Generale im deutschsprachigen Raum. Denn die Aktien wurden nicht nur in der Mitte der angepeilten Spanne gepreist, sondern haben auch nach dem Börsendebut deutlich zugelegt. Zusammen mit dem anstehenden IPO der DWS zeige dies die positive Stimmung für Neuemissionen bei den Anlegern. Dabei schätzen internationale Investoren gerade deutsche Unternehmen als grundsätzlich stabil.

Aus fundamentaler Sicht ist das Börsenumfeld Darpe zufolge sehr gut, auch wenn langfristig höhere Zinsen drohten und die Europäische Zentralbank einen restriktiveren Kurs fährt. Steigende Zinsen können Aktien gegenüber Anleihen unattraktiver erscheinen lassen. Und im historischen Vergleich seien die jüngsten, den Zinssorgen geschuldeten Schwankungen an den Aktienmärkten noch sehr moderat. Im zweiten Halbjahr allerdings könnten politische Ereignisse wie die Brexit-Verhandlungen oder die US-Kongresswahlen im November für mehr Unruhe sorgen.

"Der Markt für Börsengänge in Europa ist derzeit durchaus aufnahmefähig", sagte Joachim von der Goltz, der bei der Schweizer Bank Credit Suisse das IPO-Geschäft in Nordeuropa leitet. Angesichts der jüngsten Marktschwankungen seien Anleger aktuell etwas selektiver und suchten Unternehmensprofile, die hohe beständige Barmittelzuflüsse aufwiesen und über eine gute Wachstumsdynamik verfügten. Generell ist das Umfeld dem Experten zufolge weiterhin günstig: So investierten insbesondere US-Amerikaner verstärkt in europäische Aktienfonds, zudem seien die Wachstumsprognosen für die Wirtschaft erst kürzlich nach oben geschraubt worden.

DESWEGEN LAHMT DER DEUTSCHE MARKT IM INTERNATIONALEN VERGLEICH

Während weltweit ein Rekordjahrgang in Sachen IPOs erwartet wird, hinkt der Markt hierzulande im internationalen Vergleich seit Jahren hinterher - auch wenn mit den Sonderfällen DWS und Healthineers die bislang in diesem Jahr größten Börsengänge in Europa aus Deutschland kommen. Zum Vergleich: 2017 spielten hierzulande alle 14 Börsengänge 2,8 Milliarden Euro ein. In den Vereinigten Staaten lag das Volumen laut der Beratungsgesellschaft EY bei 31,6 Milliarden und in China bei fast 40 Milliarden Euro.

Die Gründe für die Zurückhaltung liegen tief, denn die Deutschen haben traditionell mit der Börse wenig am Hut. Sie haben generell eine Skepsis gegenüber angelsächsischem Kapitalismus und zudem schlechte Erfahrungen beim Börsengang der Deutschen Telekom gemacht. Die Anteilsscheine des Telekom-Konzerns wurden zum Symbol für die schwach ausgeprägte Aktienkultur hierzulande. Vom Schock der geplatzten Dotcom-Blase konnten sich die Papiere nie wirklich erholen, so dass Kleinanleger viel Geld verloren.

Aber auch für deutsche Unternehmen ist ein Börsengang nicht immer die erste Wahl, um frisches Geld einzusammeln. Insbesondere mittelständische Firmen bekommen traditionell leicht Kredite über ihre Hausbank oder finanzieren sich etwa durch die Ausgabe von festverzinslichen Wertpapieren. Vielmehr können die Schaukelbörsen für diese Unternehmen ein Problem sein, wenn sie sich gerade in der Phase eines Kursabschwungs an Anleger wenden müssen und so Gefahr laufen, weniger Geld als erhofft zu bekommen. Konzerne wiederum können zwar kurzfristige Marktschwankungen gut verkraften. Wenn sie sich aber von Beteiligungen trennen wollen, steht ihnen neben dem Börsengang auch der Verkauf an strategisch orientierte Käufer oder an Finanzinvestoren offen.

DAS SIND WEITERE HOFFNUNGSSCHIMMER

Für etwas Schub für Börsengänge hierzulande sorgt gleichwohl das noch neue Segment Scale der Deutschen Börse, das sich an etablierte Wachstumsfirmen richtet. 2017 gab es dort vier - wenn auch kleine - Börsengänge. Der Kontakt zwischen Start-ups und Anlegern wird immerhin leichter. Ein gutes Zeichen für den hiesigen IPO-Standort ist auch, dass sich deutsche Tech-Firmen aus der E-Commerce-Branche wie etwa die Lieferdienste Delivery Hero oder HelloFresh für einen Börsengang im Heimatland entschieden haben./la/ag/jha/