NEW YORK (dpa-AFX) - Europas Großbanken stehen aus Sicht der US-Bank JPMorgan noch trübere Zeiten bevor. Branchenexperte Kian Abouhossein strich in einer am Donnerstag vorliegenden Studie seine Gewinnschätzungen für die Branche ein weiteres Mal zusammen und begründete das mit der Aussicht auf anhaltende Niedrigzinsen. Besonders stark treffe dies die Commerzbank. Abouhossein rät daher zu Aktien von Großbanken aus den USA. Trotz ihrer höheren Bewertung werfen diese nach seiner Ansicht immer noch mehr Geld für die Aktionäre ab als ihre Pendants aus Europa.

Denn für die Gewinne der europäischen Banken zeigte sich der JPMorgan-Experte noch pessimistischer als bislang. Nachdem er seine Gewinnschätzungen für die Branche für 2020 seit dem Jahreswechsel bereits um neun Prozent gesenkt hatte, setzte er nun noch einmal den Rotstift an. Im Schnitt kappte er seine Prognosen für 2019 um zwei Prozent sowie für 2020 und 2021 um jeweils vier Prozent. Bei der Commerzbank fällt die Senkung für 2021 mit elf Prozent noch stärker aus.

Zudem nahm Abouhossein die Commerzbank-Aktie von der Liste seiner "Top Picks" im Sektor - auch wegen der erfolgten Absage einer Fusion mit der Deutschen Bank. Für den Aktienkurs, der zuletzt kaum noch die Marke von 6,50 Euro überschritten hatte, sieht er zwar immer noch Luft nach oben. Allerdings senkte er sein Kursziel von 8,75 auf 7,50 Euro und seine Empfehlung für die Aktie von "Overweight" auf "Neutral". Für die Aktie der Deutschen Bank bleibt er weiterhin neutral gestimmt, kappte sein Kursziel aber von 6,75 auf 6,25 Euro.

Der Kurs der Commerzbank-Aktie hatte in den ersten Monaten des Jahres von der Aussicht auf eine Übernahme durch die Deutsche Bank profitiert. Weitere Fusionsfantasien hält Abouhossein für verfrüht. Für 2019 seien Zusammenschlüsse und Übernahmen unwahrscheinlicher geworden, da es mit der Schaffung der Europäischen Bankenunion kaum vorangehe.

Dem "Handelsblatt" zufolge hat nach der italienischen Unicredit auch die niederländische Großbank ING entschieden, der Commerzbank keine weiteren Avancen zu machen. Grenzüberschreitende Fusionen gelten als sehr kompliziert und versprechen bei unterschiedlichen nationalen Vorschriften und Systemen geringere Möglichkeiten zur Kostensenkung.

Aus Sicht von Abouhossein gehört die Commerzbank auch zu denjenigen Banken in Europa, die am stärksten von der kurzfristigen Zinsentwicklung und den Zinsaussichten abhängen. Zwar dürften die deutschen Institute besonders davon profitieren, falls die Europäische Zentralbank tatsächlich die Strafzinsen für bei ihr geparkte Gelder staffelt. Denn deutsche Banken haben traditionell ein starkes Einlagengeschäft.

Doch auch im Fondsgeschäft sieht es seiner Ansicht nach nicht gut aus in Europa: Die verwalteten Kundengelder dürften schrumpfen und damit auch die Provisionserträge.

Angesichts dessen sieht der Analyst bei den Aktien anderer europäischer Banken zwar keinen Umschichtungsbedarf. Allerdings senkte er auch seine Kursziele für die Aktien der Schweizer UBS, der französischen Großbanken Societe Generale und BNP Paribas, der spanischen Institute Santander und BBVA sowie der italienischen Unicredit. Für die niederländische ING hielt er sein Kursziel hingegen aufrecht und rät weiterhin zum Übergewichten der Papiere im Depot./stw/gl/jha/