ESSEN (dpa-AFX) - Der Chemikalienhändler Brenntag ist in den vergangenen Jahren vor allem durch kleinere Zukäufe gewachsen. Konjunkturabschwünge treffen Brenntag in der Regel weniger stark als Chemiekonzerne, weil Kunden dann geringere Mengen an Chemikalien benötigen und diese vermehrt beim Händler statt beim Produzenten kaufen. Doch die zuletzt deutlich abgeschwächte Nachfrage nicht zuletzt aufgrund der Handelskonflikte hinterlässt auch bei Brenntag Spuren. Mitte Juli senkte das Unternehmen das Jahresziel für den operativen Gewinn.

Was bei dem Chemikalienhändler los ist, wie Analysten ihn bewerten und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI BRENNTAG:

Nach einer Reihe von Gewinnwarnungen in der Chemie kappte Mitte Juli auch Brenntag seine Prognose für den operativen Gewinn. Das wirtschaftliche Umfeld in Europa und Nordamerika hat sich laut dem im MDax notierten Konzern im zweiten Quartal deutlich abgeschwächt. Darüber hinaus deuteten wichtige Indikatoren sowie die eigene Markteinschätzung auf ein weiter schwieriges Umfeld für den weiteren Jahresverlauf hin.

Das operative Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) soll 2019 daher nun auf vergleichbarer Basis lediglich um bis zu 4 Prozent wachsen oder im schlimmsten Fall sogar stagnieren. Zuvor hatte Brenntag ein Wachstum von 3 bis 7 Prozent angepeilt. Bei der Prognose geht das Management davon aus, dass die Wachstumsraten im zweiten Halbjahr über denen im ersten Halbjahr liegen werden.

Im zweiten Quartal legte der operative Gewinn nach ersten Berechnungen auf rund 266 Millionen Euro zu. Das wären zwar 15 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, allerdings profitiert Brenntag von der erstmaligen Anwendung des neuen Rechnungslegungsstandards IFRS 16, da ein Großteil der Leasingaufwendungen nicht mehr im Ergebnis enthalten sind. Im ersten Quartal hatte dies das um Sondereffekte bereinigte Ebitda um 27 Millionen Euro erhöht. Die endgültigen Zahlen will Brenntag am 7. August veröffentlicht.

Erst jüngst geriet Brenntag aufgrund von Lieferungen von Chemikalien nach Syrien in die Schlagzeilen. Laut Medienberichten können die Chemikalien neben der Fertigung von Medizin auch zur Herstellung von Chemiewaffen verwendet werden. Die Essener Staatsanwaltschaft prüft eine entsprechende Anzeige gegen Brenntag von drei Nichtregierungsorganisationen. Brenntag verteidigte sich und erklärte, die Lieferungen seien "in Einklang mit dem geltenden Recht" getätigt worden.

Brenntag ist ein international tätiger Händler von Industrie- und Spezialchemikalien sowie Inhaltsstoffen, der seine mehr als 10 000 Produkte bei den Chemiekonzernen in größeren Mengen einkauft, diese lagert und sie dann in kleineren Mengen verkauft. In den vergangenen Jahren ist das Unternehmen, das mehr als 16 000 Mitarbeiter beschäftigt, über kleinere Übernahmen gewachsen. 2018 setzte es knapp 12,6 Milliarden Euro um und machte nach Steuern einen Gewinn von gut 460 Millionen Euro. Größter Konkurrent ist die US-Firma Univar.

Entstanden ist das weltweit tätige Unternehmen aus einem 1874 von Philipp Mühsam in Berlin gegründeten Eiergroßhandel. 1912 erfolgte der Wechsel zum Geschäft mit dem Chemikalienhandel, in dem Brenntag heute die weltweite Spitzenposition einnimmt. 1937 kaufte die Familie Stinnes den Chemikalienhändler und änderte ein Jahr später den Firmennamen von "Brennstoff-, Chemikalien- und Transport AG" in Brenntag um.

Es folgte ein stetiger Wachstums- und Internationalisierungskurs, der vor allem im vergangenen Jahrzehnt von ständigen Eigentümerwechseln begleitet war. 1965 übernahm der Energiekonzern Veba, der später mit dem Konkurrenten Viag zu Eon verschmolz, mehrheitlich die Brenntag-Mutter Stinnes. Im Februar 2003 kaufte die Deutsche Bahn die Stinnes AG und mit ihr Brenntag. Ein Jahr später ging der Chemikalienhändler in den Besitz des US-Finanzinvestors Bain Capital über, der das Unternehmen 2006 an den Finanzinvestor BC Partners weiterreichte und dieser Brenntag vier Jahre später an die Börse brachte.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die meisten Analysten sind bezüglich der Brenntag-Aktie trotz der jüngsten Gewinnwarnung positiv gestimmt. Gleich zwölf der im dpa-AFX-Analyser erfassten Analysten raten dazu, die Papiere zu kaufen, während viermal eine Empfehlung zum Halten ausgesprochen wird. Kein Analyst spricht sich dafür aus, die Anteilsscheine zu verkaufen. Mit 53,29 Euro liegt das durchschnittliche Ziel etwa sieben Euro über dem aktuellen Kurs.

Bei dem Chemikalienhändler liegt Analyst Thomas Burlton von der Privatbank Berenberg zufolge der Fokus auf der gekappten Gewinnprognose. Allerdings habe der Markt diese kommen sehen und sie falle nun weniger drastisch aus, als zuvor gedacht. Zudem hätten die Zahlen für das zweite Quartal die Erwartungen übertroffen. Analyst Chetan Udeshi von der US-Bank JPMorgan sieht das ähnlich und empfiehlt die Aktie weiter zum Kauf.

Für Analyst Rory McKenzie von der Schweizer Großbank UBS ist der neue Ergebnisausblick recht unkonkret. Zwar könne sich der Chemikalienhändler dem langsameren Wachstum in der Industrie nicht entziehen. Das Geschäftsmodell von Brenntag sei jedoch weniger zyklisch, findet Analyst Thomas Maul von der DZ Bank. Analyst Markus Mayer von der Baader Bank rät Anlegern, die Kursschwäche zum Kauf zu nutzen.

Analyst Knud Hinkel vom Analysehaus Pareto Securities zufolge enttäuscht die für die Gewinnwarnung verantwortliche Schwäche im Juni all jene, die gedacht haben, dass die deutsche Wirtschaft das Schlimmste hinter sich habe, und ab Juni wieder anziehe. Gemessen an den jüngsten Gewinnwarnungen in der Chemie - einem guten Frühindikator - sei die Wahrscheinlichkeit einer Rezession recht hoch, warnte er.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Seit dem Jahreshoch von 49,07 Euro Mitte April ging es für die Brenntag-Aktie zunächst bergab, seit Ende Mai erholt sich der Titel mit kräftigen Schwankungen wieder langsam. Derzeit liegt der Aktienkurs zwar gut ein Fünftel unter dem Jahreshoch, aber mehr als 20 Prozent über dem zu Jahresbeginn.

Viel Freude hat das Papier des Chemikalienhändlers Anlegern der ersten Stunde bereitet: Seit dem Börsengang im Jahr 2010 hat sich die Aktie um das 2,7-fache verteuert./mne/kro/jha/