(neu: u.a. Trump, Berichte über fehlgeschlagenen US-Angriff)

WASHINGTON/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Mit neuen Wirtschaftssanktionen erhöhen die USA in der Iran-Krise ihren Druck auf Teheran. Nach Hinweisen, dass ein iranischer Raketenbeschuss den Absturz eines ukrainischen Flugzeugs mit 176 Toten verursacht hat, forderten Deutschland und weitere Länder eine lückenlose Aufklärung. Die Katastrophe vom Mittwoch bei Teheran hängt nach Überzeugung mehrerer EU-Staaten, der USA und Kanadas eng mit dem auch militärisch ausgetragenen Konflikt zwischen den USA und dem Iran zusammen.

Nach den iranischen Angriffen auf US-Truppen im Irak verhängen die USA weitere Sanktionen gegen Teheran, wie Außenminister Mike Pompeo und Finanzminister Steven Mnuchin am Freitag mitteilten. Unter anderem würden mehr als ein Dutzend der größten Stahl- und Eisenproduzenten im Iran mit Sanktionen belegt. Auch einzelne Produzenten von Aluminium und Kupfer würden ins Visier genommen. Mnuchin sagte, damit werde das iranische Regime von Einnahmen in Milliardenhöhe abgeschnitten.

Pompeo sagte, außerdem würden acht hochrangige Vertreter der iranischen Regierung, die in die jüngsten Angriffe auf US-Truppen involviert gewesen seien, mit Sanktionen belegt. US-Präsident Donald Trump hat nach Mnuchins Angaben zudem die Befugnis für weitere Strafmaßnahmen gegen andere Teile der iranischen Wirtschaft gegeben, darunter das Bau- und Textilgewerbe.

Nach Kanada und Großbritannien unterstützten auch mehrere andere EU-Staaten sowie die USA am Freitag die Annahme, der Iran habe das abgestürzte Flugzeug versehentlich abgeschossen. Derzeit müsse man davon ausgehen, dass der Absturz "möglicherweise" vom irrtümlichen Abschuss einer Flugabwehrrakete verursacht wurde, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas bei einem EU-Krisentreffen in Brüssel. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hält dieses Szenario für glaubwürdig. Und Pompeo sagte in Washington: "Wir glauben, dass es wahrscheinlich ist, dass dieses Flugzeug durch eine iranische Rakete abgeschossen wurde."

Der Iran hatte Spekulationen über einen Abschuss zurückgewiesen und einen technischen Defekt als Ursache genannt.

Maas forderte wie mehrere seiner Amtskollegen Aufklärung: "Es darf nichts unter den Tisch gekehrt werden, denn wenn das der Fall wäre, wäre das der Nährboden für neues Misstrauen." Pompeo sagte, zunächst müsse die Untersuchung abgewartet werden. "Ich bin zuversichtlich, dass wir und die Welt angemessen reagieren werden, wenn wir die Ergebnisse dieser Untersuchung bekommen."

Die Spannungen im Nahen Osten hatten zuletzt stark zugenommen. Die USA hatten in der Nacht zum 3. Januar den iranischen Top-General Ghassem Soleimani mit einem Luftangriff in der irakischen Hauptstadt Bagdad gezielt getötet. Der Iran reagierte in der Nacht zum Mittwoch mit Vergeltung. Kurz darauf stürzte die ukrainische Boeing nahe Teheran ab. Der Iran hatte sich nach der Tötung Soleimanis zudem weiter aus dem Atomabkommen von 2015 zurückgezogen. Die EU hält - entgegen Forderungen von US-Präsident Donald Trump - daran fest.

Die USA sollen es in der Nacht des Drohnenangriffs auf Soleimani übereinstimmenden US-Medienberichten zufolge nicht nur auf ihn abgesehen gehabt haben. Ein geplanter Angriff auf einen anderen iranischen Kommandeur der Al-Kuds-Brigaden im Jemen sei allerdings fehlgeschlagen, berichtete unter anderem die "Washington Post" unter Berufung auf vier namentlich nicht genannte US-Beamte. Trump sagte unterdessen Fox News in einem Interview, er glaube, dass Soleimani "wahrscheinlich" Angriffe auf vier US-Botschaften geplant hatte. Die US-Regierung steht unter Zugzwang, die folgenreiche Operation nach Kritik zu rechtfertigen.

In Brüssel betonten mehrere Außenminister, man müsse am Atomabkommen mit dem Iran festhalten. Dies hindere das Land an der Entwicklung von Atomwaffen, sagte Maas. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hält allerdings ein Scheitern des Atomabkommens für möglich. "Vielleicht können wir nicht verhindern, dass das Abkommen am Ende aufgelöst wird", sagte Borrell. Bislang hätten die Bemühungen der EU, die Auswirkungen der US-Sanktionen auf den Iran zu lindern, nicht funktioniert, räumte er ein.

Maas sagte, die unmittelbare Kriegsgefahr im Nahen Osten sei erstmal gebannt. Sein Luxemburger Kollege Jean Asselborn sagte, es gehe in der Region nun um die Frage, "wie kann man nachhaltig stabilisieren für die Zukunft". Aus Maas' Sicht ist es sinnvoll, den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat im Irak fortzusetzen. "Das jetzige Ende des Kampfes gegen den IS im Irak würde das Land ganz erheblich destabilisieren und neue Spielräume für den IS schaffen", sagte er.

Der Iran-Sondergesandte im US-Außenministerium, Brian Hook, bekräftigte die Gesprächsbereitschaft Washingtons im Iran-Konflikt. Trump habe erneut die Tür für die Diplomatie geöffnet, sagte Hook am Freitag in Brüssel. Trump wolle ein neues Atomabkommen mit dem Iran erzielen, um die Differenzen zwischen den beiden Ländern zu überwinden. "Und wir laden den Iran ein, dasselbe zu tun und unserer Diplomatie nicht mit militärischer Gewalt zu begegnen."

Pompeo sprach dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sein Beileid für die Todesopfer beim Absturz der Maschine der Ukrainian International Airlines aus. Er bot Selenskyj die volle Unterstützung der US-Regierung bei der Untersuchung des Absturzes an.

Iranische und ukrainische Experten hätten ihre Arbeit in einem Labor am Flughafen Mehrabad in Teheran aufgenommen, sagte der Leiter der Luftfahrtbehörde des Irans, Ali Abedsadeh, in Teheran. Ihr Ziel sei die Auswertung der beiden schwer beschädigten Flugschreiber. Dabei geht es auch um die letzten Worte des Kapitäns.

Bei dem Absturz kamen auch eine Doktorandin aus Mainz und eine Asylbewerberin aus Nordrhein-Westfalen mit ihren beiden Kindern ums Leben. Die 29 Jahre alte Doktorandin war nach Angaben des Max-Planck-Instituts in Mainz für ihren Weihnachtsurlaub bei ihrer Familie im Iran.

Regierungssprecher Steffen Seibert forderte am Freitag in Berlin, alle möglichen Ursachen in den Blick zu nehmen: "Die Bundesregierung erwartet, dass es eine genaue Untersuchung der zuständigen Stellen im Iran - und zwar in enger Zusammenarbeit mit den in der Hauptsache betroffenen Nationen - gibt." Die Absturzursache müsse lückenlos aufgeklärt werden. "Auch deutsche Experten stehen bereit, bei dieser Ermittlungsaufgabe mitzuhelfen, sofern dies gewünscht ist."

An der Untersuchung des Absturzes sollen auch Fachleute unter anderem aus den USA mitwirken. Die Nationale Behörde für Transportsicherheit in Washington erklärte, dass sie sich an der Untersuchung beteilige. Frankreich bot technische Hilfe an. Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven verlangte eine Beteiligung seines Landes. Länder, deren Staatsbürger bei dem Absturz ums Leben gekommen seien, müssten die Möglichkeit zur Beteiligung an den Ermittlungen sowie volle Einsicht darin erhalten.

Kanada und Großbritannien hatten am Donnerstag als Erste mitgeteilt, Informationen zu haben, dass der Iran das Flugzeug versehentlich abgeschossen habe. Die Beweise seien "sehr klar", sagte Trudeau. Großbritanniens Regierungschef Boris Johnson sprach von einem "Korpus an Informationen", der auf einen Abschuss durch eine iranische Rakete hinweise.

Die Ukraine hat bereits eigene Experten in den Iran geschickt. Das Land verlangt Beweise für die Abschussthese. "Unser Ziel ist es, die unstrittige Wahrheit herauszufinden", sagte Selenskyj in Kiew. Das sei die internationale Gemeinschaft den Familien der Opfer schuldig./dav/DP/he