Das bereits beschlossene Umbauprogramm reiche nicht aus, sagte Vorstandschef Herbert Diess am Dienstag. "Durch die aktuelle Beschlusslage ist eine Überarbeitung unserer Planung erforderlich." Das solle im Herbst 2019 erfolgen. VW sei davon ausgegangen, dass die CO2-Ziele um 30 Prozent verschärft würden. Die EU-Institutionen legten jedoch am Montagabend fest, dass bis 2030 der CO2-Ausstoß von Neuwagen um 37,5 Prozent sinken soll. Der europäische Herstellerverband ACEA nannte das Ziel "total unrealistisch". Hindernisse wie die fehlende Infrastruktur für E-Autos seien nicht ausgeräumt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier warnte vor einer Überforderung der Autoindustrie.

Experten halten die Vorgaben für umsetzbar, wenn die Konzerne beim Umsteuern Gas geben. "So weiter wie bisher geht auf gar keinen Fall", betonte Arndt Ellinghorst vom Analysehaus Evercore ISI. Die 2030-Ziele seien erreichbar, wenn die Hersteller etwa "radikal auf elektrifizierte Plattformen setzen". Die deutschen Autobauer haben Elektromodell-Offensiven angekündigt, setzen aber weiter auch auf PS-starke Verbrenner-Modelle. BMW und Daimler wollten sich zu der Verschärfung nicht äußern und verwiesen auf die Branchenverbände. Der deutsche Verband VDA bemängelte, dass niemand wisse, wie die beschlossenen Grenzwerte in der vorgegebenen Zeit erreicht werden könnten.

UMSETZBARKEIT WIRD 2023 ÜBERPRÜFT

Basis für die Berechnung der neuen Ziele für 2030 ist das Jahr 2021. Bis dahin dürfen nach den geltenden Vorschriften Neuwagen im Schnitt nicht mehr als 95 Gramm Kohlendioxid (CO2) je Kilometer ausstoßen. Derzeit liegt der Wert bei 118,5 Gramm. Als Zwischenziel vereinbarten die EU-Institutionen ein Minus von 15 Prozent bis 2025. Im Jahr 2023 sollten die neuen CO2-Grenzwerte auf ihre Umsetzbarkeit überprüft werden, sagte Europaparlamentarier und Verhandlungsführer Jens Gieseke (CDU) in Brüssel.

Im zähen Ringen um neue Grenzwerte hatte sich Deutschland für ein weniger hartes Vorgehen starkgemacht und ursprünglich eine CO2-Verringerung um 30 Prozent propagiert. Bei Autobauern und Zulieferern arbeiten hierzulande Hunderttausende Menschen. Wirtschaftsminister Altmaier sagte dem "Handelsblatt", die neuen Grenzwerte gingen an die Grenze dessen, was technisch und wirtschaftlich möglich sei, sagte er dem Handelsblatt. EU-Politiker Gieseke sagte, die CO2-Reduktion von 37,5 Prozent bis 2030 könne nur erreicht werden, wenn sehr viele E-Fahrzeuge auf die Straße kämen. "Wir wissen heute aber nicht, wie sich der Automarkt bis dahin entwickelt." Eine Modelloffensive der Hersteller reiche nicht aus, gleichzeitig müssten auch die Preise deutlich sinken.

RUF NACH BESSERER LADEINFRASTRUKTUR WIRD LAUTER

VW-Chef Diess führte aus, das verschärfte Flottenziel von 37,5 Prozent bedeute für seinen Haus, dass im Jahr 2030 der Anteil von Elektroautos in Europa bei über 40 Prozent liegen müsse. Dazu wäre es nötig, das Produktangebot zu überarbeiten und eventuell weitere Verbrenner-Modelle zu streichen. Auch ein Umbau der Werksstrukturen und zusätzliche Batteriezellen- und Batteriefabriken wären erforderlich. "Völlig ungeklärt sind in diesem Zusammenhang auch die Erzeugung umweltfreundlichen Stroms sowie die notwendige Ladeinfrastruktur", kritisierte Diess.

Der BDI stieß in dasselbe Horn: "Europa denkt Mobilität nicht ganzheitlich genug", bemängelte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Holger Lösch. "Eine reine Regulierung über Flottengrenzwerte nimmt lediglich die Hersteller in die Pflicht, mehr Elektroautos in den Markt zu bringen. Dies blendet die notwendigen Randbedingungen, wie zum Beispiel den Ladeinfrastrukturausbau, für den auch die Regierungen verantwortlich sind, gänzlich aus." In Deutschland gebe es rund 13.000 Ladesäulen für rund 130.000 Elektrofahrzeuge. Bis 2030 seien mindestens 20 Mal so viele nötig.

Autoexperte Axel Schmidt von der Unternehmensberatung Accenture hält einen gemeinsamen Kraftakt für erforderlich: "Die Veränderungen durch die Elektromobilität sind so groß, dass sie keine einzelne Gruppe alleine stemmen kann, weder die Autobauer noch der Staat noch die Energieversorger." Um alternative Antriebe voranzubringen, sei ein Bündel von Maßnahmen notwendig: "Mehr Angebot, bessere Ladeinfrastruktur, Zahlungsbereitschaft für höhere Mehrkosten, regulative Eingriffe wie Dieselfahrverbote oder Steuervergünstigungen oder in Zukunft der komplette Bann konventioneller Antriebsformen in manchen Städten." Analyst Frank Schwope von der NordLB hält die CO2-Ziele ebenfalls für machbar, "aber sie sind natürlich auch mit höheren Kosten verbunden". Die Autokonzerne verdienten allerdings auch deutlich mehr an der steigenden Nachfrage nach Geländewagen, die wiederum zu höheren CO2-Werten führe.