WASHINGTON (awp international) - Der IWF will höhere Löhne und Gehälter in Deutschland. Nicht schnell genug gestiegene Löhne seien der Hauptgrund für den grossen Handelsbilanzüberschuss Deutschlands, sagte der Europadirektor des IWF, Poul Thomsen, am Freitag bei der Frühjahrstagung der Organisation in Washington.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat dagegen vor einem Schwarzmalen der wirtschaftlichen Lage in Deutschland gewarnt. Der SPD-Politiker wies am Freitag zugleich Forderungen nach Konjunkturprogrammen zurück. Scholz sagte in Washington, zwar habe sich das Wachstum in Deutschland verlangsamt. "Aber es ist unverändert ein Wachstum."

Der IWF hatte Deutschland für das laufende Jahr nur noch ein Wachstum von 0,8 Prozent prognostiziert - nach 1,5 Prozent im vergangenen Jahr. Die Bundesrepublik sackte damit noch stärker ab, als die insgesamt schon schwächelnde Eurozone. Die Experten forderten zudem, Deutschland müsse seine starke fiskalische Position mit niedrigen Schulden nutzen, um mehr in Infrastruktur und Bildung zu investieren und damit die Wirtschaft flott zu machen.

Der IWF erkannte jedoch auch an, dass Deutschland in jüngster Zeit einiges in dieser Richtung getan hat. Beispielsweise sei der Aussenhandelsüberschuss von 2015 weit über acht Prozent inzwischen deutlich reduziert worden. "Aber wir wollen noch mehr sehen", sagte Thomsen.

Scholz verwies auch auf die stabile Lage des Arbeitsmarktes. Hunderttausende Stellen könnten besetzt werden, wenn es den Fachkräftemangel nicht gäbe. In diesem Zusammenhang forderte der IWF Deutschland auf, die Löhne und Gehälter zu steigern. "Im Lichte eines starken Arbeitsmarktes hoffe ich auf eine Erhöhung der Löhne in Deutschland", sagte Europadirektor Thomsen.

Der deutsche Konjunkturmotor ist deutlich ins Stocken geraten. Die Bundesregierung will ihre Wachstumsprognose erneut senken. Laut Medienberichten erwartet sie nur noch ein Plus des Bruttoinlandsprodukts von 0,5 Prozent in diesem Jahr. Im Januar hatte die Regierung noch ein Wachstum von 1,0 Prozent erwartet. Die neue Prognose wird am Mittwoch vorgelegt.

Die Weltwirtschaft hat sich abgekühlt, dies belastet die exportabhängige deutsche Wirtschaft. Vor allem die Industrie schwächelt. Bundesbankpräsident Jens Weidmann sagte aber, die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in Deutschland sei gering. Ein dramatischer Abschwung, der Konjunkturpakete notwendig machen würde, zeichne sich nicht ab. Weidmann geht von einer Erholung der deutschen Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte aus.

Auch Scholz lehnte Konjunkturprogramme ab, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Bundesregierung habe ihre Investitionen bereits erhöht, sagte der Vizekanzler. Die Regierung werde am Kurs der "schwarzen Null" festhalten, also eines Etats ohne neue Schulden.

Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire hatte der "Financial Times" gesagt: "Es gibt viele Länder in der Eurozone, die die Mittel haben, mehr zu investieren." Er nannte Deutschland, die Niederlande und Finnland. Auch der IWF vertritt seit langem die Meinung, Deutschland müsse mehr investieren.

Scholz bekräftigte mit Blick auf Handelskonflikte, die Politik müsse alles dafür tun, "politische Risiken" für die Weltwirtschaft zu verringern. Es gebe Signale, dass der Handelsstreit zwischen den USA und China beigelegt werden könne. Zu drohenden höheren US-Einfuhrzöllen auf europäische Autos, sagte Scholz, er nehme die Stimmung bei der IWF-Tagung als "entspannt" und nicht als angespannt wahr. Höhere Zölle würden vor allem die deutsche Autoindustrie treffen.

Neben der weltwirtschaftlichen Lage ist die Frage der künftigen Besteuerung grosser Konzerne ein Schwerpunkt in Washington. Scholz sagte, dr deutsch-französische Vorschlag einer generellen Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen sei bei Gesprächen der G7-Finanzminister - auch mit den USA - auf grosse Zustimmung gestossen.

Länder wie Irland haben mit niedrigen Unternehmenssteuern Digitalkonzerne wie Apple angelockt, die in Europa zwar Milliardengewinne erwirtschaften, aber kaum Steuern zahlen. Etwa ein Dutzend EU-Länder haben bereits nationale Digitalsteuern auf den Weg gebracht, etwa Frankreich und Österreich./hoe/DP/fba